Anfang Dezember 1999 tagten die EU-Staats- und Regierungschefs in Helsinki. Spätabends traf ich auf dem Gang des Tagungsgebäudes den damaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer und fragte ihn, was seine Reaktion auf eine Hereinnahme der Haider-FPÖ in eine österreichische Regierung wäre. Fischer: "Dann kracht's im Karton !"

"Europa" oder wichtige europäische Politiker wie der Konservative Jacques Chirac, der Sozialdemokrat Gerhard Schröder und der Grüne Joschka Fischer waren echt fassungslos über die Aufwertung eines NS-Verharmlosers und -Bewunderers wie Jörg Haider durch eine christdemokratische Partei wie die ÖVP.

In Deutschland wäre ein solcher Politiker nach dem ersten Sager ("ordentliche Beschäftigungspolitik des Dritten Reiches" ) weg gewesen. In Österreich konnte er danach noch ungestraft die Waffen-SS loben (die an Massenerschießungen von Juden und zahlreichen Kriegsverbrechen beteiligt war), KZs als "Straflager" bezeichnen und als die "abscheulichsten Gestalten der Geschichte" Stalin und Churchill(!), nicht aber Hitler nennen. Alles am Rande der Wiederbetätigung.

Joschka Fischer hatte einige Monate vorher seine innerparteiliche Glaubwürdigkeit bei den Grünen aufs Spiel gesetzt, indem er dem Einsatz von deutschen "Tornado" -Kampffliegern gegen Serbien zustimmte, um den Krieg von Milošević gegen die Zivilbevölkerung im Kosovo zu beenden. Dies unter der Devise: "Nie wieder Auschwitz" . Motive dieser Art hat man in Österreich nie verstanden, weil es hier nie einen echten "cordon sanitaire" gegenüber NS-Nostalgie und -Verharmlosung gegeben hat.

Was Wolfgang Schüssel betrifft, so war er natürlich vorgewarnt. Auf dem Gipfel in Helsinki und schon vorher war er mehrfach von europäischen Kollegen auf die Koalition mit Haider angesprochen worden.

Seine Reaktion darauf war nicht nur kaltes politisches Kalkül, sondern auch psychologische Abwehr. Einen interessanten Einblick dazu erhielten ich und eine Kollegin bei einem abendlichen Gespräch mit Schüssel einige Wochen vorher, beim EU-Gipfel im finnischen Tampere. Über das Thema FPÖ war man plötzlich beim Zweiten Weltkrieg und Schüssel sagte: "Es gab auch andere Opfer, zum Beispiel die Sudetendeutschen."

Auf unsere Einwände, dass die Vertreibung der Sudetendeutschen aus Tschechien und die unzweifelhaften Verbrechen an ihnen doch eine Folge der viel größeren Verbrechen der Nationalsozialisten seien, wollte er nicht eingehen. Er beharrte auf einer Art Aufrechnung.

Diese Haltung kann man mit einiger Einfühlsamkeit verstehen. Sie ist in einer gewissen Generation weitverbreitet. Das Ausmaß der Verbrechen und der Schuld ist ja so groß, dass innere Abwehrreaktionen fast unvermeidlich sind.

Die ÖVP (meines Wissens Schüssel selbst nicht) hat sich auch immer darauf berufen, dass der jüdische Kanzler Bruno Kreisky seine schützende Hand über den FPÖ-Chef Friedrich Peter, Mitglied einer reinen Judenmord-SS-Einheit, gehalten hat. Kreisky verdankte Peter ja seine Kanzlerschaft.

Aber man kann etwas verstehen und es ist trotzdem nicht richtig. (Hans Rauscher, DER STANDARD, Printausgabe, 3.2.2010)