Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol antwortet per Leserbrief auf die Kolumne "Sanktionen - oder: Wie die Fakten verschleiert wurden" von Gerfried Sperl und den Kommentar "Das Gute an den 'EU-Sanktionen'" von Thomas Mayer:

Wenn Gerfried Sperl meint, die Sanktionen seien das Werk des konservativen französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac gewesen, man habe seine Mitwirkung "verschleiert" und könne deswegen nicht von einem "sozialdemokratischen Komplott" reden, so irrt Sperl. Schon in meinem Buch Die Wende ist geglückt, der Marsch durch die Wüste Gobi, Molden Verlag 2001 (ist in hoher Auflage erschienen, ein Exemplar dürfte auch in der STANDARD-Redaktion stehen) habe ich auf den S.143ff. ausführlich über Chiracs Rolle berichtet, über das Telefonat im Besonderen. Am Telefon am 27. 1. in der Früh hat mir Chirac vom Treffen der sozialdemokratischen Regierungschefs in Stockholm am 26. 1. berichtet und von den dort geäußerten Absichten. Wir wissen auch vom französischen Staatsminister Pierre Moscovici, dass unsere Sozialdemokraten dort um Hilfe der anderen gegen die Koalition der ÖVP mit der FPÖ gebeten hatten. Als vorher in Italien Ähnliches geschehen war, Berlusconi mit seiner Rechtskoalition die Sozialdemokraten aus der Regierung gedrängt hatte, hatte die Sozialistische Internationale Ähnliches gegen Italien erwogen, wurde aber damals von den massiv protestierenden italienischen Sozialdemokraten abgehalten. Unsere baten um Hilfe. Dass die Sanktionen auf sozialistischem Mist wuchsen und die französische Mitwirkung daran wurden also keineswegs verschleiert.

Meine diesbezüglichen Äußerungen im STANDARD-Interview waren daher in der Tat nicht neu.

Sperl irrt zudem, wenn er schreibt, Klestil habe eine Regierung "Klima-Scheibner" ventiliert. Ich berichte vielmehr von Plänen zu einer Regierung "Schlögl/ Scheibner". Zeuge dafür ist ein angesehener Klestil-Freund, der von seinem Gespräch mit dem szt. Bundespräsidenten berichtete. Dass es derartige Pläne gab, ist im Standard-Interview mit Karl Schlögl nachzulesen. Ebendort bestätigt Karl Schlögl im Übrigen meine Feststellung, dass die Sozialdemokraten eine Minderheitsregierung mit Duldung der FPÖ anstrebten.

Auch Thomas Mayer scheint beim Schreiben seines Kommentars "rote Wangerln" und zusätzlich einen trüben Blick gekriegt zu haben. Die Sanktionen waren ungerechtfertigt und ein eklatanter Fehlschlag. Wie ich immer wieder betont habe: Sie waren illegitim und illegal nach EU-Recht. Das ist heute und war schon damals in weiten Kreisen unbestritten. Die kritische Haltung der Österreicher und Österreicherinnen gegen die EU aufgrund dieses Einmischungsversuchs ist erst langsam im Abklingen.

Im Bewusstsein, dass diese Maßnahmen mit EU-Recht nichts zu tun hatten, wurde im europäischen Verfassungsvertrag ein rechtsstaatlich ordentliches, transparentes Verfahren gegen EU-Mitglieder vorgesehen, welche die europäischen Werte verletzen. Durch den Lissabonner Vertrag ist dieses Verfahren jetzt geltendes Recht geworden. Mafiaartige Absprachen sind nicht mehr möglich!

Dass Haider in Kärnten blieb, hat im Übrigen nichts mit den Sanktionen zu tun, das war seit seiner "Pressestunde" am 21. 11. 1999 klar. Diese Behauptung Thomas Mayers - na ja, rote Wangerln und getrübter Blick ... (Andreas Khol/DER STANDARD-Printausgabe, 3.2.2010)

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Replik von Gerfried Sperl:

Ich weiche vor Ihren Argumenten nicht zurück. Warum? 1.) Ist ein Brief an Österreich (das war die "Absicht" von Stockholm) schon ein "Komplott"? 2.) Sie hätten sofort und öffentlich Chirac kritisieren müssen, nicht erst ein Jahr später. Aber das hätte Ihrer Komplott- These widersprochen. 3.) Klestil hat beim OSZE-Treffen im Spätherbst 99 in Istanbul Wolfgang Schüssel zum Tisch mit den beiden Clintons geholt, weil die besorgt waren über die Entwicklung in Österreich. 4.) Der konservative spanische Premier Aznar war ebenfalls Teil des "sozialdemokratischen Komplotts". 5.) Einen Irrtum gebe ich zu. Klestil hat tatsächlich ein Kabinett Schlögl-Scheibner ventiliert. (Gerfried Sperl/DER STANDARD-Printausgabe, 3.2.2010)