Christiane Rothländer rekonstruiert Nazi-Netzwerke.

Foto: Zeidler

Auf dem Heldenplatz wehen die Hakenkreuzfahnen, nur - wo ist Adolf Hitler? Das Foto, das vom März 1938 zu sein scheint, ist von 1932. Ja, bereits Jahre vor dem "Anschluss" gab es in Wien genügend Nazis, um den Heldenplatz zu füllen. Dieses Foto ist eines von vielen Belegen, die zeigen, wie stark die NSDAP schon am Ende der Ersten Republik war.

"Nur wissen wir darüber noch viel zu wenig", konstatiert die Wiener Historikerin Christiane Rothländer. Der "Anschluss" habe diese braune Vorgeschichte überlagert, auch bei den Historikern. Wie waren die frühen Netzwerke der Nazis in Wien organisiert? Wer hat hier die SS gegründet, wer die SA? Dies seien noch weitgehend unbearbeitete Fragen.

Einem ersten Forschungsdesiderat haben sich Rothländer und ihre Kolleginnen bereits gewidmet, dem "Adolf-Hitler-Haus", wie das Gebäude in der Hirschengasse 25 im 6. Wiener Gemeindebezirk früher hieß. Schon im Dezember 1931 schlug die NSDAP hier ihr Wiener Hauptquartier auf. Die Nachbarn, insbesondere Juden, wurden drangsaliert, von dort aus wurden die Terroranschläge im Juni 1933 geplant.

Die aus St. Pölten stammende Historikerin hat eine sehr persönliche Motivation, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen: "Ich komme selbst aus einer 'Täterfamilie'." Ein Großvater war Mitglied eines SS-Totenkopfverbandes, der andere ein illegaler SA-Mann und späterer Ortsgruppenleiter. Nachdem sie sich in ihrer Dissertation mit dem österreichischen Psychoanalytiker Karl Motesiczky (1904-1943), einem Opfer des Nationalsozialismus, beschäftigte, bilden nun die NS-Tätergeschichte und der Austrofaschismus ihre Forschungsschwerpunkte.

"Mir ist es sehr wichtig, interdisziplinär zu forschen", betont Rothländer, die neben ihrer langjährigen Kooperation mit einer psychoanalytischen Arbeitsgruppe seit 2004 am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Uni Wien beschäftigt ist und derzeit an einem FWF-Projekt über "Politisch motivierten Vermögens-entzug in Wien 1933-1938" arbeitet. Dabei rekonstruiert sie, wie die Austrofaschisten versuchten, ihre politischen Gegner, also Kommunisten, Sozialdemokraten und auch die Nationalsozialisten, ökonomisch auszuschalten.

Der Aufwand für die Bürokratie und das Rechtswesen war dabei erheblich, zum Teil höher als der durch die Enteignung erzielte "Gewinn", und zwar nicht zu- letzt deshalb, weil das Dollfuß/ Schuschnigg-Regime auf den Anschein der Legalität Wert legte. Auf das Know-how der im Austrofaschismus tätigen Beschlagnahmeexperten konnten die Nazis nach 1938 zurückgreifen.

Die intensive Beschäftigung mit der Tätergeschichte sei zwar emotional durchaus belastend, meint Rothländer, ihre Produktivität leidet allerdings nicht darunter. In ihrer "nicht vorhandenen Freizeit" hat sie nun noch ein Buch über "Die Anfänge der Wiener SS" geschrieben, das im Frühjahr erscheint. (Oliver Hochade/DER STANDARD, Printausgabe 03.02.2010)