Karl Stoss, der am 22. Oktober Leo Wallner als ÖOC-Präsident folgte, will "vieles anders machen" .Die Situation in Turin sei "ganz schlecht gemanagt" worden.

Foto: Der Standard/Cremer

Standard: Walter Mayer stand im Zentrum des Turiner Dopingskandals 2006. Nun redet der Ex-Trainer der ÖSV-Langläufer davon, nach Vancouver fahren zu wollen. Regt Sie das auf?

Stoss: Es steht jedem frei, als privater Tourist und Zuschauer nach Vancouver zu reisen.

Standard: Christian Hoffmann, Ex-Schützling Mayers und Olympiasieger 2002, hat aufgehört, weil er gesperrt wurde und Vancouver verpasst. Was sagen Sie dazu?

Stoss: Gar nichts, ich bin damit nicht befasst. Ich bin auch nicht Gericht. Das zu beurteilen, steht mir gar nicht zu.

Standard: Man könnte allerdings festhalten, Hoffmann sei verurteilt ohne Urteil. Der Sport erhebt sich über Regeln des Rechtsstaats.

Stoss: Zu diesem Fall kann und will ich nichts sagen. Wir bekommen die Nennung der Athleten von den Verbänden, da war dieser Name nicht dabei.

Standard: Hoffmann kann sich als Opfer hinstellen, so wie sich das ÖOC und der Skiverband nach dem Dopingskandal 2006 als Opfer hingestellt haben. Wieso wird das Thema Doping hierzulande nicht professioneller behandelt?

Stoss: Es wäre natürlich der Idealfall, dass Doping gar nicht stattfindet, so wie es im Idealfall nur gute Menschen geben sollte. Vielleicht gehen wir schlampig mit Vergangenheitsbewältigung um, das ist möglich. Und sich medial selbst hervorragend zu befetzen, das kann Österreich besonders gut. Einiges gehört einfach nicht einmal ignoriert. An manchem sind auch die Medien schuld.

Standard: Also ist es überbewertet, das Thema Doping?

Stoss: Das hat ja Turin gezeigt. Großartige sportliche Erfolge wurden völlig in den Hintergrund gedrängt durch das Dopingthema.

Standard: Das lag aber vor allem am Krisenmanagement.

Stoss: Absolut, die Situation wurde ganz schlecht gemanagt.

Standard: Hans Holdhaus, ausgewiesener Anti-Doping-Experte, ist Delegationsleiter. Wollten Sie damit ein Zeichen setzen?

Stoss: Wir müssen möglichst viele Zeichen setzen, dass wir es wirklich ernst nehmen. Ob's ein Zeichen gegenüber dem IOC ist? Das müssen Sie das IOC fragen.

Standard: Wie sehen Ihre sportlichen Erwartungen aus? Hoffen Sie auf acht Goldene wie in Turin?

Stoss: Ich gebe keine Prognosen ab. Wenn Sie Ziffern hören wollen, müssen Sie Lotto spielen. Es gibt zweimal in der Woche die Möglichkeit dazu.

Standard: Wie schwierig war die Amtsübernahme? Das ÖOC hat noch keine neuen Statuten. Läuft's zäher als gedacht?

Stoss: Das war immer so geplant. Die Statuten sind alt, da gibt's Korrekturbedarf, aber jetzt haben wir andere Prioritäten. Wir mussten uns auf Vancouver vorbereiten. Statuten können warten. Ich will vieles nicht besser, aber anders machen. Ich habe mit den Altlasten nichts zu tun, war nie ÖOC-Mitglied. Es wird einenRechenschaftsbericht von unabhängigen Experten geben. Dann ziehen wir einen Strich und schauen in die Zukunft.

Standard: Ist nicht zu befürchten, dass sich die Causa Heinz Jungwirth ergebnislos hinzieht?

Stoss: Ich kann Ihnen da leider keine Auskunft geben. Doch wenn es konkrete Verdachtsmomente und möglicherweise eine Anklage gibt, müssen die Gerichte urteilen. Darauf hab ich aber keinen Einfluss.

Standard: Das ÖOC sucht Jungwirths Nachfolger als Generalsekretär. Man hört, Ihr Wunschkandidat wäre Toni Innauer gewesen, er habe aber abgesagt.

Stoss: Es gab 104 Bewerbungen, Innauer war nicht dabei. Er ist eine tolle Persönlichkeit, ich komme sehr gut aus mit ihm, er hat aber einen Vertrag mit dem ÖSV.

Standard: Wann sehen Sie sich die 104 Bewerber genauer an?

Stoss: Nach den Spielen. Ich werde Interviews führen, den Kandidatenkreis verkleinern und dem Präsidium drei Topkandidaten vorstellen. Wir haben keinen Druck. Außerdem habe ich eine mehr als herausfordernde Nebentätigkeit als Generaldirektor von Casinos Austria und Österreichischen Lotterien.

Standard: Ganz generell - wo sehen Sie die Aufgaben des ÖOC? Was soll, kann das ÖOC bewirken, welche Macht hat es, im Vergleich etwa mit dem Skiverband?

Stoss: Macht hat es gar keine. Der Skiverband ist eines der Mitglieder und bestimmt maßgeblich die Politik des ÖOC. Wenn Spiele anstehen, obliegt es dem ÖOC, sie zu beschicken und dort die Verantwortung für die Sportlerinnen und Sportler zu übernehmen. Es gibt nur diese eine Hauptfunktion, die olympischen Werte hochzuhalten, weiterzuentwickeln und dafür zu sorgen, dass möglichst viele Sportler und Sportlerinnen an den Spielen teilnehmen.

Standard: Viele sehen keine Chance, dass Österreich nach dem Dopingskandal je wieder Spiele veranstaltet. Sie auch?

Stoss: Nein. Wir sind nicht chancenlos. Es kann eine Umkehr der Denkweise stattfinden. Vielleicht hört man auf, in Gegenden zu gehen, wo alles neu errichtet werden muss. Vielleicht kehrt man zurück zu schon vorhandenen Sportstätten, zur Einfachheit.

Standard: Haben olympische Sommersportarten in Österreich zu wenig Stellenwert? In der Leichtathletik oder im Rudern ist Österreich völlig abgemeldet.

Stoss: Da muss man die Verbände fragen, was falsch gelaufen ist. Man muss sich auf die Jugendarbeit konzentrieren, langfristige Prozesse einleiten. Aber nehmen Sie den Schwimmsport, da sind wir hervorragend.

Standard: Hat das ÖOC nicht auch eine gesellschaftspolitische Funktion? Die Kinder werden dicker, die Schulturnstunden weniger. Muss da das ÖOC nicht aufschreien?

Stoss: Das möchte ich ja auch, das hab ich letztens mit meinen Kollegen im ÖOC-Vorstand diskutiert. Wir wollen darüber nachdenken, ob wir nicht wieder stärker in Richtung Jugend und Schüler gehen sollen. Doch wir sind nicht die Fahnenträger des gesamten österreichischen Sports.

Standard: Nach Vancouver fahren einige, die zwar einen internationalen Quotenplatz geholt, aber nicht das nationale Limit erfüllt haben. Gilt diese Linie auch für den Sommersport, sind Diskussionen über Härtefälle vorbei?

Stoss: Sofern wir die notwendigen Mittel dafür haben. Wer die internationalen Kriterien erfüllt, hat eine Berechtigung mitzufahren. Aber die Nominierung obliegt den einzelnen Verbänden.

Standard: Mit welchem Gefühl fahren Sie nach Vancouver, ist eine Form von Aufregung dabei?

Stoss: Ich reise so viel in meinem Leben, für mich ist der Flug nach Kanada fast wie eine Busfahrt. Ich war schon mehrmals bei Olympia. Als ÖOC-Präsident dabei zu sein, ist natürlich etwas Besonderes.

Standard: Warum war so wenig G'riss um die Nachfolge Ihres Vorgängers Leo Wallner?

Stoss: Wenig G'riss? Dafür haben sich einige interessiert. Ich hab das Amt des ÖOC-Präsidenten letztlich gerne übernommen, weil mich viele darum gebeten haben und mir sehr viel am Sport liegt. Aber ich brauch das nicht für mein persönliches Glück, ich hab' genügend zu tun, habe auch sonst mehrere ehrenamtliche Funktionen. Also was will ich noch? (Christian Hackl und Fritz Neumann, DER STANDARD Printausgabe 06.02.2010)