Vancouver - Vier Tage vor dem Startschuss der Olympischen Spiele in Vancouver sind schwere Doping-Anschuldigungen gegen deutsche Wintersportler laut geworden. In einem ARD-Film bestätigte ein Ermittler erstmals, dass es Hinweise auf die Verwicklung von deutschen Sportlern in der Wiener Blutbank-Affäre gebe. Zudem behaupteten der ehemalige Langlauftrainer Walter Mayer sowie ein anonym gebliebener nordischer Skisportler, dass Doping im Wintersport nach wie vor zum Alltag gehöre. So wird diesbezüglich in der ARD-Sendung "Geheimsache Doping - Eiskalter Betrug" (Ausstrahlung, Dienstag 0.15 Uhr) Arnold Riebenbauer, ehemaliger Vorsitzender des vom österreichischen Skiverband (ÖSV) nach dem Turiner Olympiaskandal eingerichteten Disziplinar-Ausschusses, in Zusammenhang mit der Blutdoping-Affäre um die Wiener Blutbank Humanplasma zitiert.

Riebenbauer erklärte, dass er Hinweise auf Verstrickung deutscher Biathlethen und Skilangläufer in die Affäre im Rahmen von Zeugen-Vernehmungen erhalten habe. Damit stellte erstmals eine Quelle aus Ermittlerkreisen eine Verbindung von deutschen Athleten zum Wiener Labor her. Bislang lagen nur Hinweise von anonymen Quellen über Verstrickungen vor. Er nenne aber keine Namen. 

Im Glashaus

Ähnliche Vorwürfe hatte ÖOC-Präsident Karl Stoss für die ZDF-Dokumentation "Mission Gold - Die Blutspur der Dopingbetrüger" (Mittwoch 23.15 Uhr) geäußert. "Wenn sie das Wort Humanplasma in den Mund genommen haben, dann denke ich, dass auch eine ganze Menge deutscher Sportler da auf der Liste stehen", sagte Stoss. "Da sollte man nicht mit Steinen in Glashäusern werfen, wo man selbst drinnen sitzt. Da ist höchste Vorsicht angesagt, es ist ein trauriges Kapitel, das man gemeinsam zu vertreten und aufzuarbeiten hat."

Im Labor der Wiener Humanplasma wurden von Mitte 2003 bis Anfang 2006 Blutabnahmen bei Sportlern durchgeführt, wie Humanplasma-Sprecherin Michaela Eisler dem ZDF bestätigte. Nach damaligen Recherchen der ARD sollen dort auch rund 20 deutsche Sportler aus den Bereichen Biathlon und Skilanglauf Blutdoping betrieben haben.

"Als uns die Gerüchte mitgeteilt worden sind, haben wir auf Nachfrage bei den zuständigen Stellen stets die Aussage erhalten, dass es keine Hinweise auf deutsche Athleten gebe", hatte dazu Christian Klaue, Sprecher des Deutschen Olympischen Sport-Bundes, am Vortag in Vancouver erklärt.

Mayer: CERA schon in Turin verbreitet

In dem 30-minütigen ARD-Beitrag wird ausführlich ein anonymer "nordischer Skisportler, WM- und Olympia-Teilnehmer" zitiert, der die Doping-Praktiken in seiner Sparte mit den Zuständen im Radsport gleichsetzt.  Mayer erklärte, Nach-Tests von Turin würden sehr viele Medaillengewinner in schlechtes Licht rücken. Im Gegensatz zu Peking wurden Doping-Proben von Turin noch nicht nachträglich analysiert.

Das Blut-Doping-Mittel CERA ist laut Mayer schon seit 2002 auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Er sei sicher, dass es in Turin benutzt worden sei. Mayer hält die Doping-Kontrollen für eine Farce. "Die Sieger von Vancouver sind nicht sauber, sonst würden sie nicht siegen", sagte er. IOC-Vize-Präsident Thomas Bach meinte dagegen: "Unsere Experten sagten mir, dass es zurzeit keine Anhaltspunkte gebe, dass Cera in Turin benutzt wurde." Mayer war nach einer Razzia bei Olympia 2006 in Österreichs Langlauflager vorübergehend verhaftet worden und dann amokfahrend geflüchtet. Nach wie vor wird gegen ihn ermittelt.

Radsport-Verhältnisse bei Nordischen

Der anonyme Sportler, mit Kapuzenshirt im Halbdunkel gezeigt, stellte sich und andere an den Pranger: "Die Doping-Situation im nordischen Skisport ist nicht viel anders als im Radsport. Vor allem im Skilanglauf habe ich mitbekommen, dass in der Weltspitze massiv gedopt wird. Gerade auf längeren Distanzen ist es unmöglich, ohne, ich sage jetzt mal EPO oder Blutdoping, dass man jetzt irgendwo vorne mitläuft. Ich war bei Olympia gedopt und keiner hat es gemerkt." Erwischt würden in Vancouver nur, "die nicht wissen, wie Doping wirklich funktioniert".

Das Blutdoping bei Humanplasma in Wien sei "noch die sauberste Form des Dopings", erklärte der Sportler, der angeblich erwägt, in nächster Zeit seine Anonymität aufzugeben. "Es wird keine Chemie zugesetzt, es wird nur eingefroren und später wieder rückgeführt in den Körper." Eine EPO-Dosierung 22  Uhr sei "ideal". In der Nacht komme ja kein Kontrolleur, am Morgen finde man sowieso nichts mehr, so der Unbekannte. "Für uns hatte er eine hohe Glaubwürdigkeit, deshalb kam er zu Wort", sagte ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt.

Neue Substanz S107

Erschreckende Details lieferte der Film über die Substanz S107. Das Präparat, das in ein paar Jahren zur Behandlung von Herzleiden eingesetzt werden soll, fördere die Ausdauerleistung bei Menschen um 20 Prozent und sei im Sport schon längst im Umlauf, hieß es. Die Substanz stehe allerdings noch nicht auf den Doping-Listen, sei aber problemlos im Internet zu bestellen. 'Es kann sein, dass es schon im Einsatz ist', sagte der frühere Radprofi und geständige Doper Bernhard Kohl.

Mit simplen Tricks beschafften sich die Fernseh-Reporter, die sich vorher in Minsk in einem Fitnessstudio unbehelligt mit verschiedenen Dopingmitteln eindeckten und ihre Shopping-Tour mit versteckter Kamera filmten, das Mittel übers Internet aus Baden-Württemberg und Estland. Auf ARD-Anfrage kündigte David Howman, Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, an, gegen S 107 vorzugehen. (APA/sid/red)