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Hans-Jürgen Papier, Vorsitzender Richter des Ersten Senats des Bundesverfassungerichts verkündet am Dienstag, 9. Februar 2010, in Karlsruhe das Urteil zu den Hartz-IV-Regelsätzen für Kinder.

Foto: AP/Rothermel

Auf die deutsche Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kommt viel Arbeit zu. Bis zum Jahresende muss sie eine der größten Reformen, die die rot-grüne Regierung unter Ex-Kanzler Gerhard Schröder auf den Weg gebracht hat, korrigieren. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschied am Dienstag, dass Hartz IV, die Grundsicherung für Langzeitarbeitslose und deren Kinder, nicht mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist.

In seiner Urteilsbegründung fand der Präsident des Höchstgerichts, Hans-Jürgen Papier, deutliche Worte: Die Leistungen sowohl für Erwachsene als auch für Kinder bis zum 14. Lebensjahr "genügen dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht". Dabei bemängeln die Richter gar nicht so sehr die Höhe der staatlichen Leistung (siehe Wissen), sondern dass die Berechnung derselben nicht transparent genug sei. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, die Aufwendungen "in einem transparenten und sachgerechten Verfahren" zu bemessen. Das sei gerade bei der Unterstützung für die Kinder von Langzeitarbeitslosen verabsäumt worden. Von "Schätzungen ins Blaue" hinein spricht Papier, man habe vom Regelsatz der Erwachsenen einfach "freihändig" 20 bis 40 Prozent abgezogen.

Geklagt hatten drei Familien aus Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen, die schon seit Jahren von Hartz IV leben. In akribisch geführten Tabellen wiesen sie nach, dass sie mit dem Geld für ihre Kinder nicht auskommen. So seien etwa Ausgaben für Bildung (Schwimmunterricht) überhaupt nicht berücksichtigt. Auch habe der Gesetzgeber nicht bedacht, dass Kinder öfter neue Kleider brauchen als deren Eltern, weil sie ja noch wachsen.

Trotz des Urteils bleiben die Hartz-IV-Sätze bis zum Jahresende gleich. Allerdings haben die Betroffenen ab sofort das Recht, als Ausgleich "Härtefall-Leistungen" zu verlangen, etwa für Schulausflüge. Am 1. Jänner 2011 müssen dann ohnehin die neuen Berechnungen in Kraft treten.

Von der Leyen spricht jetzt schon von "mächtigen Hausaufgaben", meint jedoch auch: "Die große Siegerin des Urteils ist die Bildung der Kinder." Sie lässt im Moment allerdings noch offen, ob bedürftige Kinder vom kommenden Jahr an tatsächlich mit mehr Geld unterstützt werden.

Warmes Essen in der Schule

Eine Alternative dazu wären Sachleistungen (Gutscheine für Nachhilfe oder Sportstunden, aber auch ein warmes Essen in der Schule). Hans-Peter Friedrich, CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, bringt hingegen bereits mehr Geldleistung ins Spiel: "Bei Kindern und Jugendlichen werden wir drauflegen müssen." Das Urteil führe "zwangsläufig zu deutlich höheren Regelsätzen", meint der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider. Seinen Berechnungen nach müsste für Kinder rund zwanzig Prozent mehr Geld zur Verfügung stehen, um ein "Mindestmaß an Teilhabe am kulturellen Leben" zu sichern.

In jedem Fall kommen auf die leeren deutschen Haushaltskassen neue Kosten zu. Nach Berechnungen der Caritas kostet es den Staat jährlich 750 Millionen Euro mehr, wenn jedes Hartz-IV-Kind 42 Euro mehr im Monat bekommt. Eine Anhebung der Leistung für Erwachsene von 359 auf 420 Euro, wie sie die Grünen fordern, beliefe sich laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung auf zusätzlich zehn Milliarden Euro im Jahr. FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger stellte am Dienstag bereits vorsorglich klar, dass auch mit derlei Mehrkosten die von der FDP geforderte Steuersenkung finanziert werden könne. (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.2.2010)