Manche SchülerInnen kostet es Überwindung die Muttersprache im Unterricht zu verwenden. Doch das Selbstbewusstsein wächst von Stunde zur Stunde, bestätigen Lehrer und SchülerInnen.

Foto: Olivera Stajic

Das innovative Unterrichtskonzept erlaubt das Arbeiten mit kleinen Schülergruppen.

Foto: Olivera Stajic

Ganze 90 Prozent der SchülerInnen in der KMS Schopenhauerstraße haben eine nichtdeutsche Muttersprache.

Foto: Olivera Stajic

In der ersten Doppelstunde am Freitag herrscht in der 4B ein reges Kommen und Gehen. Am Unterrichtsplan steht die Zwischenkriegszeit, unterrichtet wird in drei kleinen Gruppen, in drei Klassenräumen: Frau Reissner erzählt über die Goldenen Zwanziger, bei Herrn Yilmaz erfahren die MittelschülerInnen das wichtigste über die Wirtschaftskrise, und bei Ana Žiga stehen die Nachfolgestaaten der Donaumonarchie auf dem Programm. Nach ca. 16 Minuten wechseln die SchülerInnen den Raum und widmen sich dem nächsten Thema. In der zweiten Stunde erfolgt die Teilung nach Muttersprache: Göksel Yilmaz vertieft den Lernstoff mit den türkischsprachigen SchülerInnen, Ana Žiga unterrichtet in Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (B/K/S) und die Klassenvorständin Gerda Reissner hält in ihrer Gruppe den Unterricht in Deutsch bzw. Englisch ab. 

Projektkinder

Seit Anfang des Schuljahres 2009/10 wird in den Geschichte- und Geografiestunden der 4B der dreisprachige Unterricht erprobt. Nach dem ersten Semester sind alle Beteiligten mehr als zufrieden: "Nächstes Jahr gibt es ein Remake mit der jetzigen 3B", kündigt Projektleiterin Gerda Reissner an. Außerdem wolle sich im nächsten Schuljahr eine weitere Kollegin dieses Modell "näher ansehen". Die Schüler ihrer Klasse, der 4B, seien projekterprobt, erzählt Reissner. Im Rahmen des Forschungsprojektes Sparkling Science haben sie sich zum Beispiel zusammen mit StudentInnen der WU Wien mit Fragen der Integration und des Heimatbegriffs auseinandergesetzt. Hier traten sie als "AlltagsexpertInnen" auf, denn bis auf einen Burschen kommen alle SchülerInnen der 4B aus Migrantenfamilien. 

"Gegen den Trend"

Ganze 90 Prozent der SchülerInnen in der KMS Schopenhauerstraße haben eine nichtdeutsche Muttersprache. Zwei Lehrer, für B/K/S und Türkisch, sorgen seit einigen Jahren nachmittags für den Muttersprachenunterricht. Dass auch im regulären Unterricht streckenweise die Muttersprache zum Einsatz kommt, ist neu. "Derzeit sind wir mit unserem Modell gegen den Trend, aber nach den Wahlen werden wir interessant werden. Derzeit heißt es von der Politik, ‘sie sollen Deutsch lernen‘. Man muss es oft auch vor eigenen Kollegen rechtfertigen", gesteht Gerda Reissner. Doch der Erfolg motiviert: Der muttersprachliche Parallel-Unterricht zeigt bereits sehr positive Auswirkung auf die Lernerfolge, erzählt Göksel Yilmaz. Von beiden Lehrern wird überschwänglich ein Schüler gelobt, der im regulären Unterricht "eher unter ferner liefen" gelandet wäre. Als der Schüler ein - im türkischen Teil der Stunde - selbstgestaltetes Plakat der ganzen Klasse auf Deutsch vorstellen sollte, sei er regelrecht aufgeblüht, berichtet die Klassenvorständin stolz. Der Schüler hätte ohne Mühe sein Werk "simultan übersetzt".

"Halbsprachigkeit ist fatal"

"Für das Selbstbewusstsein der Kinder ist diese Art von Unterricht sehr wichtig", betont Yilmaz. Der studierte Politologe ist der Meinung, dass solche Unterrichtsmodelle unbedingt zusammen mit dem zusätzlichen muttersprachlichen Unterricht kombiniert werden müssen. Die Alphabetisierung in der Muttersprache sei wichtig. "Wenn der Aufbau der Muttersprache mit der Einschulung unterbrochen wird, schaffen es die Kinder oft nicht, in irgendeiner Sprache gut zu sein. "Diese Halbsprachigkeit ist fatal", so Yilmaz. Wissenschaftliche Theoretiker und Praktiker aus dem Lehrbetrieb sind sich einig: Wichtig ist, dass die Muttersprache nicht nur in der Volksschule, sondern auch später gefördert wird.

"Brauchen mehr Lehrer"

Davon ist auch Schuldirektorin Erika Tiefenbacher, die sich eine Fortsetzung des innovativen Unterrichtsansatzes wünscht, überzeugt: "Es kommt auf die Ressourcen der Muttersprachen- Lehrer an, aber dieses Projekt könnte auch auf andere Fächer umgelegt werden. Wir beobachten auch, dass die Parallelklasse nicht so schnell voran kommt, wie die, die vertiefend und projektorientiert arbeiten. Wir könnten also parallel evaluieren und beweisen, dass die Schüler motiviert sind". Einen konkreten Beweis für die Motivation der Schüler kann Tiefenbacher bereits nennen: "Eine unserer dreisprachigen Doppelstunden ist am Mittwochnachmittag, und Vierzehnjährige haben nachmittags oft ein anderes Programm, aber hier fehlt niemand", erklärt Tiefenbacher schmunzelnd. Die Erweiterung des Projektes kann aber nur mit zusätzlichen Muttersprachenlehrern realisiert werden. "Man will nicht wahrnehmen, dass die Festigung der Muttersprache eine wichtige Voraussetzung ist. Der zuständige Schulinspektor Manfred Pinterits wollte uns einen weiteren Lehrer geben, aber die jetzt genehmigten Lehrer sind nur für Volksschulen vorgesehen", bedauert Tiefenbacher.

Gute und schlechte Sprachen 

Den Schülern in der KMS Schopenhauerstraße wird durch das Projekt des dreisprachigen Unterrichts vor allem die soziale Wertschätzung ihrer Muttersprachen vermittelt. In der großen Pause hört man in den Gängen der KMS Schopenhauerstrasse eine bunte sprachliche Mischung. Davon fühle sich hier niemand gestört, betont Gerda Reissner. "Sie switchen alle mühelos zwischen beiden Sprachen. Das machen meine eigenen Kinder auch zwischen Englisch und Deutsch, aber Englisch ist offenbar eine gute Sprache, und Türkisch ist es nicht".