So in etwa dürfte "Inuk" aus Grönland ausgesehen haben: braunäugig, untersetzt, schütteres Haar. Seine Vorfahren waren aus Ostsibirien gekommen.

Illu.: Nuka Godfredsen

Kopenhagen/London/Wien - Im Vergleich zum Ötzi hat sich vom Mann aus dem grönländischen Eis nicht allzu viel erhalten: Gerade einmal ein paar Haarbüschel und ein paar Knochen hatten sich vom 4000 Jahre alten Angehörigen der Saqqaq-Kultur im Permafrost konserviert.

Dennoch weiß man erstaunlich viel über das Aussehen und die Herkunft des Ur-Eskimos, dem die Forscher den Namen "Inuk" gaben, was in der Sprache der heutigen Inuit "Mensch" bedeutet und zugleich der Singular von "Inuit" ist: Er ist nämlich der erste vorzeitliche Vertreter der Gattung Homo sapiens, dessen DNA ziemlich vollständig rekonstruiert wurde (zu 79 Prozent).

Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass der frühe Arktisbewohner braune Augen, schaufelartige Vorderzähne und eine Neigung zum Haarausfall hatte. Außerdem produzierte er kein feuchtes, sondern trockenes Ohrenschmalz, gehörte der Blutgruppe A positiv an und war mit seinem hohen Body-Mass-Index gut an das kalte Klima angepasst.

Die Erbgutanalyse brachte aber auch einige Überraschungen, wie das internationale Forscherteam um den dänischen Humangenetiker Eske Willerslev in der britischen Wissenschaftszeitschrift Nature (Bd. 463, S. 757) schreibt: Bei Vergleichen der rund 350.000 gefundenen SNPs (Abweichungen von einzelnen Basenpaaren in der DNA) mit jenen heutiger Arktisbewohner zeigte sich, dass "Inuk" genetisch wenig mit den heutigen Grönländern, also den Angehörigen der "Inuit" zu tun hatte.

Am engsten ist er mit heutigen Bewohnen des nordöstlichen Sibirien verwandt. Das wiederum bedeutet, dass "Inuk" von Zuwanderern aus dieser Gegend abstammen dürfte. Wie und warum dessen Vorfahren die Distanz von mehreren tausend Kilometern ins genauso kalte Grönland hinter sich gebracht haben, sei aber völlig ungeklärt, so Willerslev, der nur durch Zufall auf die Haar- und Knochenreste gestoßen war.

Er hatte in den vergangenen Jahren im nördlichen Grönland nach Knochen mit intakter DNA gesucht und sich "dabei den Arsch abgefroren" , so der Humangenetiker im Original. Als er sein Leid dem Chef des Zoologischen Museums, Morten Meldgaard, klagte, erinnerte der sich an einen Fund, den er vor 20 Jahren mit seinem Vater gemacht hatte. Die beiden hatten 1986 an der Diskobucht an der Westküste Grönlands Haare gefunden, die das ewige Eis 4000 Jahre lang konserviert hatte. "Versuch's doch einmal mit denen" , habe Meldgaard gemeint.

Der Versuch gelang prächtig. Ob er der Auftakt zu vielen weiteren vorzeitlichen DNA-Analysen aus aller Welt sein wird, darf indes trotz des rasanten technischen Fortschritts bezweifelt werden: Auch DNA erhält sich am besten bei Minusgraden. (Klaus Taschwer, DER STANDARD/Printausgabe 11.2.2010)