Krieg ist keine besonders gute Zeit für die Ideen der Aufklärung. Befürworter und Gegner eines Krieges setzen mit ihren Parolen und Argumenten (und meist ist die Unterscheidung zwischen beiden nur schwer möglich) eine qualitative Abwärtsspirale in Gang, in deren Verlauf recht schnell ein intellektueller Tiefststand erreicht ist.

Robert Menasses Rede ist ein beredtes Beispiel für diesen Sachverhalt. Mit Berufung auf die Ideen der Aufklärung gibt Menasse antiaufklärerischen Unfug von sich. So behauptet er etwa, die europäische Politik sei "bereits nachnational". Selten so gelächelt! Das Gefeilsche und Gezerre in Brüssel als "nachnational" zu charakterisieren, dazu bedarf es wahrhaft titanischer intellektueller Anstrengungen.

Europa, so Menasse, sei den "Weg der Friedenspolitik gegangen, während die USA auf militärische Absicherung ihrer Ressourcen setzt". Schön. Bloß nicht wahr. Wenn die USA im Nahen Osten sitzen und die Ölquellen verteidigen, dann lässt es sich in Europa natürlich bequem Friedenspolitik machen; die US-Marines sorgen ohnedies dafür, dass uns in den Diskutierstuben nicht mangels Ölnachschub kalt wird. Diese ziemlich zynische (wenngleich durchaus verständliche) Haltung der europäischen Staaten als "Friedenspolitik" zu verkaufen, das hat schon was!

Dass die USA in der "Frage der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums abgeschlagene Nachzügler" sind, ist schon richtig, aber was ist der Grund? Die US-Militärmacht sorgt dafür, dass auch in Europa die Rohstoffe nicht ausgehen. Das bezahlen die Amerikaner mit einem - im Vergleich zu Westeuropa - grottenschlechten Sozialsystem. Den Windfall-Profit kassieren die friedliebenden Westeuropäer, indem sie die unpopuläre und teure Dreckhack'n den kriegswütigen Amis überlassen. Dann dürfen sie sich aber auch nicht wundern, dass die USA den Weltsheriff spielen wollen.

Doch Menasse übertrifft sich selbst: "Die USA ließen den Franco- und den Salazar-Faschismus in Europa intakt", folglich sei die Geschichte der Befreiung Europas vom Faschismus nur die halbe Wahrheit. Bemerkenswert ist, was Menasse geflissentlich verschweigt, nämlich dass ganz Osteuropa einem totalitären System überlassen werden musste. Der Preis für die Befreiung Westeuropas war die Unterjochung der osteuropäischen Völker durch den Stalinismus. Trotzdem hat keines dieser Regimes überlebt. Und es lässt sich durchaus argumentieren, dass der Zusammenbruch dieser Systeme letztlich eine Folge der Demokratisierungsbemühungen der USA in Europa war.

Und man kann sehr wohl der Ansicht sein kann, dass die "Demokratisierung eines einzigen arabischen Landes" auf lange Sicht zur Demokratisierung der ganzen Region führen könnte. Die Argumentation Menasses unterschlägt einfach die Tatsache, dass das Vorgehen der USA immer ambivalent war in seiner Mischung aus wirtschaftlichen Interessen und Sendungsbewusstsein (was einem nicht unbedingt sympathisch sein muss). Höhepunkt des Unfugs ist es jedoch, ein völlig undifferenziertes Bild von Europa und Amerika zu zeichnen.

Wer oder was ist "Europa"? Frankreich, Deutschland, Polen, der europäische Teil der Sowjetunion? Wer oder was ist "der Amerikaner"? Donald Rumsfeld, George W. Bush? Oder - um Literaten zu nennen - Gore Vidal, Philip Roth oder Jonathan Franzen?

Hier der aufgeklärte Durchschnittseuropäer, der versonnen und nachdenklich auf den Spuren von Voltaire und Kant wandelt; und dort der dumpfe Amerikaner, im Sattel von John Wayne vorwärts galoppierend, der "nie begreifen wird, was die große europäische Lehre ist"? Dieses Bild zeichnet ein angeblich gebildeter Europäer, der sich den Amerikanern in genau dem Maße überlegen fühlt, das er den von ihm Kritisierten vorwirft! Die Welt kann ziemlich einfach sein, wenn man ein großer Denker ist.

Was soll man von einem Intellektuellen halten, der nicht einmal in der Lage ist, den großen Unterschied zu erkennen zwischen dem noch immer ziemlich pragmatischen "It's our job!" des durchaus problematischen Herrn Bush und der Rechtfertigungsideologie des Satzes "Ich habe nur meine Pflicht getan"? Hätte Menasse Recht, dürfte es in Europa keine Le Pens und Schills, keine Haiders und Berlusconis geben. Und schon gar nicht wäre es möglich, dass Menasse für so plumpe Antiamerikanismen Beifall bekommt.(DER STANDARD, Printausgabe, 8.4.2003)