Da liegt sie also wieder vor einem, diese bezaubernd beklemmende Unterwasserstadt. Selten nur hat eine Videospielwelt derart überraschen können, wie BioShocks Rapture. Eine Mutanten-Utopie im Stil der 1950er-Jahre - ein fantastisches Szenario. Zehn gedichtete und nicht einmal drei echte Jahre nach den Ereignissen des ersten Teils schicken die Erschaffer die neugierig gebliebenen Fans wieder zurück, um noch mehr dunkle Geheimnisse aus den Tiefen des Atlantiks zu bergen. Auch für die Entwickler ein gewagtes Unterfangen.
Good old times
Wir schreiben das Jahr 1970. Raptures Vater, der Wirtschaftsmagnat Andrew Ryan, ist tot, doch die Mauern seines Vermächtnisses stehen noch. Nicht als unfreiwilliger Tourist, sondern in den Schuhen des ersten Big Daddys, eine Art Wächter, muss man zum eigenen Leidwesen feststellen, dass nun die nicht weniger durchgeknallte Sofia Lamb das zerfallende Utopia regiert. Während Ryan an den Individualismus glaubte und in der mysteriösen Substanz ADAM das perfekte Mittel zur genetischen Selbstverwirklichung fand, verfolgt Lamb einen religiös angehauchten Kommunismus, mit ihr als Kultfigur.
Die Bewohner Raptures sind mittlerweile zum Großteil ein Haufen ADAM-Junkies, Splicer, die wie Zombies nach frischer Nahrung gieren. Als man etwas unverhofft zehn Jahre nach seinem traumatischen Tod, den Frau Lamb zu verschulden hat, wiederbelebt wird, hat mein kaum Erinnerungen an sein Vorleben. Als Ur-Big Daddy "Delta" hatte man die Aufgabe ein kleines Mädchen, Little Sister getauft, bei der Gewinnung ADAMs aus den Leichen genmanipulierter Menschen zu beschützen. In einen Tiefseetaucheranzug gepackt und mit einem gigantischen Fleischbohrer ausgestattet, steckt man also in der Rolle eines jener Ungetüme, die einem im ersten Teil das Leben zur Hölle gemacht haben.
Mit Magie und Knarre auf der Suche
Delta weiß von seinem Vorleben nur noch Bruchstücke. Klar ist allerdings die Erinnerung an seine "kleine Schwester" Elenor und so spannt sich der Rahmen um die Suche nach dem ominösen Mädchen mit den gelb leuchtenden Augen. Eine der wenigen bei Verstand gebliebenen Bewohnerinnen ist Dr. Brigid Tennenbaum, die einen per Funk erreicht und den ersten Brotkrumen zur Lösung des Puzzles streut. Wie das Schicksal es so will, ist Elenor nämlich auch Sofia Lambs Tochter. Von da an läuft man zielstrebig neuen Hinweisen nach und stößt zugleich immer tiefer in die Abgründe Raptures vor.
Natürlich wird einem die Reise ins Ungewisse nicht leicht gemacht. Das im Sud der Verdammten versinkende Wasserschloss ist erfüllt von den Schreien schauriger Mutanten. Neben Splicern ziehen andere Big Daddys durch die Korridore und aus den vielen der einstigen Little Sisters sind ebenso übermenschliche wie tödliche Big Sisters geworden. Zum Vorteil gegenüber allen nachfolgenden Artgenossen kann sich Delta wie normale Menschen Ryans vielfältiges Sortiment an Gen-manipulierenden Zaubertränken (Plasmids) zu nutze machen. Zur Bekämpfung der diversen Widerlinge wartet man so nicht nur mit Bohrer, Maschinengewehr und sonstigen fiesen Tötungsmaschinen auf, sondern schießt aus der linken Hand Blitze oder lässt per Telekinese Gegenstände durch die Luft fliegen.
Roter Faden, aber keine Schießbude
Anders als das Original erlaubt BioShock 2 nicht die freie Erkundung der triefenden Stadt. Die wunderschön gemalten Prunkräume mit ihren meterhohen Fenstern, die die Fauna und Flora des Ozeans preisgeben, sind Kulisse für eine engmaschig gestrickte Geschichte, die von schrägen und überzeugend gespielten Charakteren getragen wird. Nur vereinzelt stößt man auch auf neue optische Reize. So kann man im Taucheranzug ohne weiteres ins Freie treten. Doch das einstige Überraschungsmoment ist aufgrund der zu vertraut wirkenden Szenerie komplett aus den Rissen Raptures entwichen. Der Charme der Atmosphäre besteht weiterhin, wirklichen Anreiz zum Weiterkommen bietet allerdings die Erzählung.
Das eigentliche Spiel dahinter ist auf der anderen Seite alles andere als gealtert. Im der Haut Detltas erlebt man einen Egoshooter für Denker. Jede Waffe, jede Magie und auch die Lebenskraft hat endliche Ressourcen. Die persönlichen Fähigkeiten müssen mit bedacht spezialisiert werden und begünstigt wird nur der, der brav sammeln geht. Selbst bei der niedrigen Schwierigkeitsstufe reichen die Munition und das Mutationselexir "EVE" gerade so aus, dass man über die Runden kommt. Nicht zu selten bleibt zum Schluss nur der Gewehrkolben zur Verteidigung. Zur Hilfe kommen Selbstschussanlagen und warnende Kameras, nachdem man sie erfolgreich gehackt hat. Wie versperrte Schlösser oder Munitionsautomaten kann man viele der elektronischen Gegenstände knacken und zu seinem Vorteil nutzen. Zum Glück wurde hierbei das mühsame Pipe-Mini-Game aus dem ersten Teil gegen ein einfaches Reaktionsspiel ausgetauscht.
Skripte, Angst und Monotonie
Ein wesentliches Gameplay-Element ist das Zusammenspiel mit Little Sisters. Delta sucht zwar seine Schwester bis zum Schluss, doch in der Zwischenzeit kann er anderen Big Daddys im Duell die kleinen Mädchen wegschnappen. Sind die gespenstischen Wesen einmal adoptiert, kann man mit ihnen neue ADAM-Quellen ausfindig machen. Sobald die Schwester einen passenden Leichnam gefunden hat, gilt es sie zu verteidigen, denn von der Prozedur werden Horden von Splicers angelockt. Ein durchaus forderndes, aber auf Dauer auch recht eintöniges Konzept.
Für weit heftigere Schockmomente sorgen die Big Sisters. Konträr zum Versprechen der Entwicklern, wonach diese agilen und furchteinflößenden Ungetüme willkürlich und zu jeder Zeit angreifen können, sind die Attacken zwar geskriptet, aber dennoch sicherlich eines der spielerischen Highlights. Nur ein schrilles Kreischen verrät den nächsten Angriff, hat man eine Schwester im Gepäck wird man freundlicher Weise etwas früher gewarnt.
Fang die kleine Schwester
Wer vom Gameplay nicht genug bekommt, wird sich über den neuerdings beigelegten Mehrspielermodus freuen. Beim Zusammentreffen fünf gegen fünf zählt man zwar besser nicht auf Überraschungen, doch die Variationen bekannter Modi wie Team-Deathmatch oder Capture the Flag (in diesem Fall die kleine Schwester) bieten eine solide Bühne für die taktisch angehauchten Gefechte. Der Goldene Colt in jeder Partie ist der beliebig platzierte Taucheranzug. Schlüpft ein Spieler in ihn hinein, lässt er zwar die Fähigkeit Plasmids zu nützen zurück, profitiert aber von der gesteigerten Kraft und dem vernichtenden Bohrer.
Probleme mit der PC-Version
Technisch ist BioShock 2 zwar nicht auf dem allerneuesten Stand, doch weiß das stimmige Artdesign immer noch zu begeistern. Bei der PC-Version haben sich die Entwickler allerdings einige gröbere Schnitzer erlaubt. So fehlt die Widescreen-Unterstützung für 16/10 und 16/9-Bildschirme, genauso wie die standardmäßige Unterstützung für die Kantenglättung. Hier muss man den Umweg über die Einstellungen der Grafikkarte machen. Weniger gravierend, aber dennoch unverständlich ist Ausgrenzung von Gampad-Spielern.
Fazit
Es ist nicht zu verbergen, dass ein großer Teil der Faszination Raptures bei der zweiten Besichtigung dahin ist. Zu ähnlich sind die neuen Kulissen, zu bekannt die Widersacher, als dass die Neugier zurück in die Fingerspitzen fließt. Dennoch ist BioShock 2 eine durchaus gelungene Fortsetzung, die eine ebenso interessante Geschichte kompakter und sogar besser erzählt, als der erste Akt. Die Kombination aus Shooter und Rollenspiel und die starke Abhängigkeit von Ressourcen sind spielerisch nach wie vor extrem fordernd. Wer dem Charme des versunkenen Utopias beim ersten Mal erlegen ist, dem wird das Wasser zweifellos auf ein neues im Mund zusammenfließen.
(Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 14.2.2010)