Ehrlichkeit gehört nicht unbedingt zu den politischen Generaltugenden. Das weiß der gelernte Österreicher. Was sich aber dieser Tage abspielt, ist selbst für Hartgesottene schwer verträglich. Die Regierung drückt sich öffentlich und für jeden offensichtlich vor einer Antwort auf eine der aktuell brennendsten Fragen: Wie und wo will man das Geld, das man zur Rettung so mancher Bank freizügig und ohne große Auflagen lockergemacht hat, wieder einsparen? Eigentlich hätte sich die Bevölkerung spätestens im Herbst dieses Jahres eine Antwort erwartet. Fast zeitgleich mit den Wiener Landtagswahlen hätte der Finanzminister die Horrorzahlen, Pardon, das Budget, für 2011 vorlegen sollen.

Doch weit gefehlt. Die Politstrategen haben anders entschieden und schieben die schmerzliche Diskussion hinaus. Vorher will man unbeschadet die Wahlen des Jahres 2010 überstehen, erst dann bekommen die Bürger des Landes eine Grauslichkeit nach der anderen präsentiert. Klar: Nach den diesjährigen Wahlen steht eine zweijährige Wahlpause ins Haus. Bis sich die dem Ende zuneigt, so lautet das Kalkül, sind die Einschnitte schon wieder verheilt.

Auch wenn die Politiker eine ehrliche Debatte über die Zukunft dieses Landes meiden, lässt sich doch auch schon heute einiges über die Prioritäten sagen. Im Gesundheitsbereich droht eines der größten Sparpakete überhaupt. Derzeit gibt es kaum einen Politiker, der nicht locker-lässig die Mär von Milliardeneinsparungen im Gesundheitswesen nachplappert. Selbsternannte Experten haben dieses Potenzial einmal erdacht, einer Überprüfung haben die Zahlen noch nie standgehalten. Hier die Fakten: Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt liegt in Österreich seit zig Jahren konstant bei etwas über zehn Prozent (zuletzt sind sie sogar leicht gesunken). Damit liegen wir unter den Werten von Deutschland und der Schweiz. In den USA beträgt der Anteil gar mehr als 16 Prozent - Barack Obama will den übrigens steigern.

Faktum ist, dass wir in Österreich zu wenig und nicht zu viel für unser Gesundheitswesen ausgeben. der Standard titelte jüngst: "Alarm wegen Gesundheit der Kinder in Österreich." Im Text war dann von für Österreich miserablen internationalen Vergleichswerten etwa bei Fettleibigkeit, Selbstmordgefährdung oder Alkohol- und Nikotinsucht die Rede. Das ist ein trauriger, weil richtiger Befund. Aber anstatt wie von der Ärzteschaft gebetsmühlenartig gefordert Geld für Prävention auszugeben, basht uns die Politik, wenn wir mehr Leistungen für die Patienten fordern. Nur zwei Fakten, um die Situation zu verdeutlichen: In Wien gibt es keine einzige (!) Kassenstelle für Kinderpsychiatrie. Aber es ist schon klar, die Politik muss Prioritäten setzen und anstatt kranker Kinder Kärntner Kreditinstitute auffangen. Zum politischen Klischeebild der angeblich unmäßigen Ärzteschaft: Für einen Hausbesuch inklusive Anfahrtszeit bekommt ein Hausarzt in Wien rund 37 Euro. Um diesen Betrag verlässt ein Mitarbeiter eines Schlüsseldienstes nicht einmal seine Garage.

Aber einerlei: Die Politik glaubt, sie könne Milliarden Euro einsparen. Als Beweis dienen unter anderem die maroden Krankenkassen mit ihren Defiziten. Doch wer hat denn die verursacht? Es war die Bundesregierung (damals Schwarz-Blau), die den Kassen rechtswidrig versicherungsfremde Leistungen wie das Wochengeld aufgebrummt hat. Die Kassen sind deshalb krank, weil sie absichtlich ins Minus getrieben wurden. Allein die Wiener Gebietskrankenkasse zahlt jährlich 20 Millionen Euro Zinsen für ihre Schulden. Das ist - politischer - Verrat an den Versicherten.

Zum Diktat der entleerten Kassen kommen seit kurzem Pläne des Gesundheitsministeriums, die Zahl der niedergelassenen Ärzte zu reduzieren und so das Angebot für die Patientinnen und Patienten gezielt zu verknappen. Wien wird dabei das leuchtende Beispiel Oberösterreich vorgehalten. Übrigens: Dort hat sogar der regierende ÖVP-Landeschef Josef Pühringer im jüngsten Wahlkampf dutzende Facharztstellen "gefordert", weil der niedergelassene Bereich davor systematisch ausgehungert wurde.

Wenn das die Vision für unser Gesundheitswesen ist, dann sollte die Politik schleunigst ihre Prioritäten überdenken. Oder sie soll sagen, welche Leistungen wegfallen, wenn man die Milliarden aus dem Gesundheitswesen abgezogen hat. Sie soll offenlegen, ob sie Selbstbehalte einführen will. Das wäre wenigstens der Ansatz zu einer ehrlichen Debatte. (Johannes Steinhart, DER STANDARD, Printausgabe, 15.2.2010)