Noah Baumbachs "Greenberg" erzählt am Beispiel seines nämlichen Titelhelden (Ben Stiller) vom Unbehaustsein im Leben und der Schwierigkeit menschlicher Zusammenkünfte.

Foto: Focus Features

Die schöne Überraschung aber heißt "Greenberg" von Noah Baumbach.

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Geschichte trug die Berlinale am Wochenende stolz vor sich her. Mit der Aufführung der restaurierten Version von Fritz Langs Metropolis, die bei eisigen Temperaturen und Glühwein-Ausschank auch auf einen Vorhang am Brandenburger Tor übertragen wurde, gab sich das Festival im Jubiläumsjahr um das filmhistorische Erbe bemüht. Vor den festlichen Premieren laufen wiederum kurze Wochenschau-Zusammenschnitte, bei denen das Festival noch recht jungfräulich erscheint: Fans kreischen, Willy Brandt hält eine Rede, und die Moderatoren träumen schon damals von einer "neuen Weltstadt des Kinos".

Bei so vielen historischen Beilagen kann die Auseinandersetzung mit dem Gegenwartskino schon manchmal ins Hintertreffen geraten. Es sei denn, ein (persönlich abwesender ) Roman Polanski und (ein von Stars begleiteter) Martin Scorsese stehen am Programm. Scorseses Shutter Island folgt (nach einer Vorlage von Dennis Lehane) zwei US-Marshals (Leonardo DiCaprio und Mark Ruffalo) im Jahr 1954 in eine streng bewachte Anstalt für psychisch kranke Gewaltverbrecher. Sie sollen dort der mysteriösen Flucht einer Insassin nachgehen. Von Beginn an lässt Scorsese jedoch Zweifel an der Objektivität eines der Ermittler aufkommen, traumatische Erinnerungen quälen ihn, die aus seinem Kriegsdienst herrühren, wo er an der Befreiung von Dachau beteiligt war; zudem verfolgen ihn Bilder des Brandtodes seiner Frau (Michelle Williams).

Doch nicht unbedingt der aus schrillen Pulp-Elementen zusammengebaute Plot ist so entscheidend, sondern die ungemein kraftvolle wie kunstvoll stilisierte Inszenierung Scorseses, welche die Insel als ein Inferno menschlicher Abgründe erscheinen lässt. Gerüchte sind im Umlauf, dass das Ärzteteam (Ben Kingsley und Max von Sydow) mit grausamen Methoden am Menschen experimentiert. So erweitert Scorsese, begleitet von donnernder musikalischer Untermalung György Ligetis, die Geschichte, changiert zwischen Traum, Wahnsinn und einer Dämonologie der USA zur McCarthy-Zeit, die immer auch durch die Bilderwelt des Kinos führt. So souverän wie in Shutter Island verfügte Scorsese über seine Mittel schon lange nicht.

Verschwörungsthriller

Auch in Polanskis The Ghost Writer geht es um die Wiederkehr von Schuld, allerdings in zeitgenössischerem Umfeld. Nach dem Buch von Richard Harris erzählt der Thriller von einem Auftragsautor (Ewan McGregor), der die Autobiografie des britischen Premier zu Ende bringen soll. Der heißt im Film zwar Adam Lang und wird von Pierce Brosnan verkörpert, dahinter verbirgt sich aber niemand Geringerer als Tony Blair - Harris wollte mit seinem einstigen Freund abrechnen.

Das Sympathische an The Ghost Writer ist, dass er sich nicht zum pseudoseriösen Politkino versteigt, sondern mehr wie ein B-Movie-Verschwörungsthriller funktioniert, der von seinem Vorbild Hitchcock nicht nur die Figur des im Trüben fischenden Helden übernimmt. Polanski interessiert sich keine Sekunde ernsthaft für die politischen Implikationen des Themas - dem Premier werden seine Machenschaften im Irak zum Verhängnis -, sondern für die dramatischen Möglichkeiten, die diese paranoide Konstruktion abwirft.

Der bisher schönste Film im Wettbewerb heißt allerdings Greenberg und stammt vom US-Amerikaner Noah Baumbach (The Squid and the Whale). Ben Stiller spielt den Titelhelden Roger Greenberg, einen Ex-Musiker und Tischler, der ein paar Wochen im Haus seines Bruders in Hollywood verbringt. Er steht kurz vor seinem 41. Geburtstag, hatte kürzlich einen Nervenzusammenbruch erlitten, die Nachwirkungen (oder sind es gar die Ursachen?) sind immer noch zu sehen: Anderen Menschen setzt sich Greenberg nur zögerlich aus. Zu vieles erregt ihn zu schnell. Situationen werden in seiner Gegenwart unbehaglich.

Greenberg ist ein Film, der von der Unbehaustheit von Menschen erzählt, in einer komisch-vertrackten Tonart, die etwas erhebend Unverfälschtes hat. Das erinnert ein wenig an Filme von Andrew Bujalski, aus dessen "Mumblecore"-Umfeld, dieser neueren US-Indie-Schule, auch Greta Gerwig kommt. Sie verkörpert die 25-jährige Florence Marr, eine redselige Lebensbummlerin, mit der Greenberg etwas beginnt, das mit dem Wort Beziehung zu allgemein umschrieben wäre.

Baumbach findet jedenfalls genau das richtige Timing, um von zwei Menschen zu erzählen, die sich auf bezaubernde Weise ständig verfehlen. Im Mittelpunkt von Greenberg steht die melancholische Erkenntnis, dass man irgendwann begonnen hat, in der Vergangenheit zu leben. Aber es gibt Hilfe. Die Unterschiede zwischen Generationen werden hier zum innersten Prinzip einer verhaltenen Liebesgeschichte: Anders ist hier im Zweifel auf jeden Fall besser. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin, DER STANDARD/Printausgabe, 15.02.2010)