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Maria Bill und Dieter Mann.

Foto: APA

Wien - In Eugene O'Neills Eines langen Tages Reise in die Nacht (posthum uraufgeführt 1956) stirbt eine US-amerikanische Musterfamilie einen langsamen Tod durch innere Zersetzung. Das Siechtum, von Drogenmissbrauch und Alkoholismus angestoßen, folgt den Gesetzen der Vererbungslehre: Weil Stammvater James Tyrone, ein versoffener Tourneeschauspieler, einst die Klosterschülerin Mary aus bloßer Renommiersucht ehelichte, sind nun auch die beiden Söhne, James jr. und Edmund, in hohem Maße wurmstichig.

O'Neills stark autobiografisch getöntes Drama ist ideengeschichtlich eng mit den bürgerlichen Geisterséancen von Ibsen und Strindberg verbunden. Umso verwunderlicher, dass Regisseur Thomas Schulte-Michels im Volkstheater aus den Verwandtschaftsbeziehungen kaum Kapital schlägt. In der Wohnfinsternis steht eine senfgelbe Couchlandschaft mit der abgewandten Seite zum Publikum. Ein würfelförmiges, von innen beleuchtetes Beistelltischchen hält die unverzichtbaren Utensilien zur Selbstverbrennung bereit: Whiskey und Soda (Bühne: der Regisseur).

Gezeigt werden Gespenster: Ab und zu flattern aus dem Off kammermusikalische Richard-Wagner-Fetzen herüber. Draußen, in New England, soll der Nebel aufgezogen sein. Im Inneren der Familienhölle freilich herrschen die Verhältnisse einer Pharaonen-Grabstätte. Vater Tyrone (Dieter Mann), der nach dem Frühstück eine gute Zigarre zu schätzen weiß, kontrolliert mit verkniffenen Augen den Zustand seiner morphiumsüchtigen Frau (Maria Bill). Man zeigt die in zahllosen Wohnzimmerschlachten erprobten Verstellungskünste - albert herum, erzählt einander totgekaute Anekdoten aus der Nachbarschaft. Es ist das kurze Aufflackern einer tief sitzenden Reizbarkeit, die an die zerstörten Grundlagen der Familie Tyrone reicht.

Sohn Jamie (Günter Franzmeier), ein ins Stillehalten getriebener Säufer und Bohemien, ist der erste, der die Vereinbarungen mit schneidenden Einwürfen aufkündigt. Bruder Edmund (Till Firit), das schwindsüchtige Nesthäkchen, verschwindet fast in den für ihn aufgeklopften Polstern. Vier Schauspieler teilen O'Neills Notstandsbericht aus den Zonen der Lüge in lauter gefundene Fresshäppchen für Raubtiere auf. Jeder verbeißt sich routiniert in den nächsten. Bills fahrige Morphinistinnen-Arien vermitteln in ihrem ausweglosen Autismus sogar die Ahnung von etwas Großem und Erhabenem.

Und doch: Die Leidenserzählungen eines untergegangenen Bürgertums wirken in dieser Veröffentlichungsform nur noch abgestanden: Der Regisseur stuft sich selbst zum Kustos herab in einem routinierten Museumsbetrieb. Anzuzeigen ist ein handwerklich sauberer Abend, der auf der vermeintlich "sicheren" Seite bleibt. Ihm wurde freundlicher Applaus zuteil. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 15.02.2010)