Die Novelle zum Unterbringungs- und Heimaufenthaltsgesetz lässt Experten befürchten, dass mehr psychisch Kranke schneller und länger auf der Psychiatrie landen.

Foto: Regine Hendrich

Wien - Sie ist, neben der klassischen Verhaftung, der massivste Eingriff des Staates in die persönliche Freiheit seiner Bürger: die "Unterbringung" von Personen in Krankenanstalten gegen ihren Willen - im Volksmund die Einweisung "in die Psychiatrie". Dies muss dann geschehen, wenn ein Mensch psychisch so krank ist, dass er sich selbst oder andere gefährden würde. 2008 passierte das 20.000-mal in Österreich: So viele Menschen wurden in diesem Jahr, laut dem Verein "Vertretungsnetz für Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung", gegen ihren Willen zumindest für kurze Zeit in geschlossene psychiatrische Abteilungen gebracht - das war ein Viertel aller stationär behandelten psychisch Kranken.

Bisher musste diese Maßnahme mit zwei Gutachten gerichtlich beeideter Sachverständiger (Psychiater) begründet werden. Das soll nun anders werden: Das Justizministerium plant eine Novelle zum "Unterbringungs- und Heimaufenthaltsgesetz", die nur mehr ein psychiatrisches Gutachten als Grundlage für die Einweisung vorsieht - es sei denn, der Patient, sein Rechtsvertreter oder ein Angehöriger verlangen dezidiert ein zweites Gutachten. Die offizielle Begründung für diese Maßnahme: Wenn ein Patient "auf die Psychiatrie" komme, müssten alle Beteiligten schnell handeln. Und dies scheitere oft daran, dass es vor allem am Wochenende, an Feiertagen oder nachts zu wenige Psychiater gebe. Aller Voraussicht nach wird der Justizausschuss die Novelle am 17. Februar mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP beschließen - trotz der zum Teil massiven Bedenken und Einsprüche von Experten.

"Vier-Augen-Prinzip notwendig"

"Wir befürchten, das ist nicht im Sinne der Patienten", sagt Ulla Konrad vom Berufsverband der Psychologen, "das Vier-Augen-Prinzip ist bei einer derart massiven Intervention unbedingt notwendig." Der Verband hat angeboten "einzuspringen", falls Mangel an Psychiatern herrsche, bis dato aber keine Antwort erhalten. Konrad:"Die klinischen Psychologen sind seit 1991 als Berufsgruppe anerkannt. Sie haben bewiesen, dass sie das können."

Neben dem Berufsverband haben sich auch die Kinder- und Jugendanwaltschaften, der ÖGB sowie diverse Patientenvertretungs-Organisationen gegen den Wegfall der Zweituntersuchung ausgesprochen. Die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Hilfe für Angehörige und Freunde psychisch Erkrankter sowie die Salzburger und die Wiener Landesregierung fordern zusätzliche Bestimmungen.

Diese habe man erfüllt, argumentiert SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim im Gespräch mit dem STANDARD: "Patienten, die das wünschen, können ja ein zweites Gutachten verlangen." Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser hält dies für eine "maximal theoretische Möglichkeit". Steinhauser: "Welcher Patient weiß das schon oder ist in einer Ausnahmesituation in der Lage, sein Recht durchzusetzen?" Die Grünen werden daher im Ausschuss diesen Passus des Gesetzes ablehnen - die Novelle insgesamt aber befürworten, da sie eine Evaluierung der neuen Regelung durchsetzen konnten. Dies sei deshalb wichtig, "weil wir nicht wollen, dass wir dahin kommen, dass wieder mehr Menschen, die sich auffällig benehmen, auf der Psychiatrie landen" (Steinhauser).

Sorge um Patienten

Genau das könnte aber passieren, fürchtet Psychologin Konrad: "Zwei verpflichtende Gutachten wären jedenfalls sicherer." SPÖ-Verhandler Jarolim hat keine Bedenken: "Das ist adäquat geregelt. Zudem haben wir durchgesetzt, dass die zwangsweise Unterbringung nicht so ohne weiteres verlängert werden kann, sondern nur dann, wenn sie therapeutisch gerechtfertigt ist."

Die Grünen vermuten hinter der Novelle andere Beweggründe als bloßen Mangel an Psychiatern. Steinhauser: "Wie immer, wenn das Justizministerium aktiv wird, geht es um Einsparungen." Und ein Gutachten sei nun mal billiger als zwei. Sollte Steinhauser recht haben, zählt man in Claudia Bandion-Ortners Ressort derzeit offenbar jeden Cent. Denn wirklich teuer ist die Arbeit von gerichtlich beeideten Psychiatern nicht: Laut offizieller Honorarliste der Ärztekammer kostet eine neurologische oder psychiatrische Untersuchung mit eingehender Begründung des Gutachtens 116,20 Euro, in besonders komplizierten Fällen maximal 195,40 Euro. (Petra Stuiber/DER STANDARD-Printausgabe, 16.2.2010)