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Peter Gabriel, gerade 60 geworden, nimmt sich mit Pathos und Pomp der Orchestrierung alter Popklassiker an.

Foto: AP /Jeff Christensen

Die Idee, mehr oder weniger anspruchsvolle Popsongs pädagogisch wertvoll aufzufrisieren, ist so alt wie die Erfindung fortschrittlicher Musiklehrer für die Mittelschulen. Während der 1970er-Jahre zogen damals immer mehr Vertreter dieser Spezies in sich dagegen nur mühsam mit Marc Bolan, B-Südtirolers oder Smokie wehren könnende Klassen. Mit klingendem Spiel sollte damals der Weltjugend der Umstieg von blödem Pop zu hehrer Klassik schmackhaft gemacht werden.

Man wurde also mit Grenz- und Geschmacksüberschreitungen gequält, für die alle damals Beteiligten einmal in der Hölle einen Aufguss extra mitmachen werden: Emerson, Lake & Palmers Pictures Of An Exhibition, Deep Purples Concerto For Group And Orchestra, Jon Lords Sarabande, Mass in F Minor von Electric Prunes. Für Österreich am Start: Eela Craig mit Bruckner-Verhunzungen. Und natürlich das große Missverständnis des Progressive Rock, Yes und Rick Wakeman, Gentle Giant ...

Peter Gabriel, der der Welt anlässlich seines 60. Geburtstages nach nur acht Jahren Nachdenkpause nun mit Scratch My Back ein neues Album zu schenken bereit ist, zählt mit seiner Band Genesis dabei zu den schlimmsten Mittätern. Aufgeblähter, drastisch-poetisch kostümierter, von der eigenen Wichtigkeit und Bedeutung größenwahnsinnig gewordener Feldherrenhügel-Konzeptrock mit Ballaballa-Inhalten wie jenem des Meisterwerks aus 1974: The Lamb Lies Down On Broadway. Schwamm drüber. Als Peter Gabriel die Band Mitte der 70er-Jahre endlich verließ und Phil Collins die Gruppe Richtung Hitparade steuerte, machte sich Erleichterung breit.

Peter Gabriel hat sich dann für seine weitere Karriere ordentlich zusammengerissen. Mit Sledgehammer revolutionierte er 1986 nicht nur die Video-Ästhetik. Mit dem Album Peter Gabriel von 1982 und Singles wie Shock The Monkey war er auch entscheidend an der Entwicklung eines wuchtigen wie modernen Electrorocks beteiligt.

Wie so oft aber bei Heiligsprechungen, wollte Peter Gabriel nach der Gründung seines Worldmusic-Labels Realworld und der Millionendollar-Album-Trilogie So, Us und Up dann nur mehr selten zu seinen Jüngern sprechen. Und vielleicht hat uns ER ja auch gar nicht mehr so viel zu sagen, wie manche hoffen. Seine neue Arbeit Scratch My Back lässt darauf jedenfalls schließen. In einer langen Reihe von anderen Musikern auch versucht Peter Gabriel aus einer möglichen Schaffenskrise dadurch zu entfliehen, dass er sich Fremdmaterial aneignet.

Dabei geht er allerdings nicht den Weg der Reduktion hin zum intimen kammermusikalischen Rahmen. Gabriel fährt mit großem klassischen Orchester, mürbe gewordener Stimme und Pomp und Pathos über Klassiker von Lieblingskünstlern wie Paul Simon (The Boy In The Bubble), David Bowie (Heroes), Talking Heads (Listening Wind), Neil Young (Philadelphia) und jüngere Kräfte wie Arcade Fire, Radiohead, Regina Spektor. Diese wissen nicht recht wie ihnen geschieht. Alle Betroffenen mussten sich verpflichten, sich beim Jedi-Ritter (Möge das Schmalz mit dir sein!) heuer noch artig zu bedanken. Auf der Songsammlung I'll Scratch Yours werden Songs von Peter Gabriel von den von ihm jetzt gecoverten Künstlern neuinterpretiert werden. Die Millionen werden fließen. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Printausgabe, 19.2.2010)