Wien - Der 400-Seiten-Roman Die Besessenen von Witold Gombrowicz zeichnete 1939 das Sittenbild einer dekadenten Gesellschaft. Er zeigte die Auswüchse menschlicher Gier und durch Egoismus zerfressene Beziehungen. Seine Figuren, die in einem heruntergekommenen Hotel zusammentreffen, sind besessen vom Haben-Wollen. Da macht es gar keinen Unterschied, ob es um Sex, Geld oder das Besitzen von Kunst geht, die erst recht wieder ausschließlich unter materiellen Aspekten gesehen wird.
Eine einzige Person entzieht sich dem blindwütigen Treiben: ein alter Fürst, der sich auf den Dachboden seines Schlosses zurückgezogen hat, dort eine Gemäldesammlung hortet und damit für das bedrohte kulturelle Erbe steht. Dass sein unehelicher Sohn unauffindbar ist, lässt zugleich erahnen, dass dieses Erbe wohl nicht mehr lange bewahrt werden wird.
Die Spannungen zwischen dieser traditionellen Welt und der Orientierungslosigkeit der Moderne, aber auch die Entwertung von zwischenmenschlichen Begegnungen durch die Gier mögen für den Komponisten und Dirigenten Johannes Kalitzke ausschlaggebend gewesen sein, Gombrowiczs Roman als Vorlage für eine Oper zu verwenden.
Wie schwierig es allerdings gewesen sein muss, diese Geschichte auf eine singbare Abendlänge zu verknappen, lässt die Tatsache erahnen, dass Librettist Christoph Klimke nicht weniger als vier Textfassungen erstellte. Doch auch die endgültige Version hat, wie sich bei der Uraufführung des Auftragswerks im Theater an der Wien zeigte, noch Tücken.
Denn kaum je werden in der nicht bloß schlichten, sondern geradezu simplen Textmontage die einzelnen Charaktere als solche greifbar. Und obwohl es durchaus musikalische Ansätze gibt, sie als Individuen zu zeichnen, ist es beim Versuch geblieben. Zwar lässt sich noch leicht nachvollziehen, dass der vom Countertenor Jochen Kowalski gegebene Fürst ein Fremdkörper ist. Warum allerdings die schöne Maja (Hendrickje van Kerckhove) derart artifizielle, verschlungene Linien singen muss, während ihr Liebhaber Leszczuk (Benjamin Hulett) spröde Sprünge ausführt, kann man allenfalls erahnen.
Zu wenig Zusammenhalt
Auch jene Musik, die das Klangforum Wien unter Kalitzkes eigener Leitung mit der größten Souveränität spielte, bietet einiges an Vielfalt: So stehen pulsierende Rhythmen neben ätherischen Klangfeldern, kommen Ausflüge in die Musikgeschichte - etwa in die Renaissance - ebenso vor wie Exkurse in Richtung Pop. Zum Gesamtbild fügen will sich dieses bunte Kaleidoskop allerdings nicht. Dafür sind doch zu wenige Verbindungen zwischen den Stilen hörbar, bietet die klug kalkulierte Partitur doch etwas zu wenig unmittelbar greifbaren Zusammenhalt.
In ähnliche Widrigkeiten hat sich auch Regisseur Kasper Holten verstrickt: Ein Supermarkt dient ihm als symbolhafter Handlungsort, der nicht nur Gombrowiczs Hotel und Schloss ersetzt, sondern auch jenen Wald, der im Roman diese beiden Sphären voneinander trennt und für das Innenleben der Protagonisten steht. Statt in diese psychologische Richtung zu leuchten, lässt Holten Regale schieben und zunächst einmal in den ersten zehn von insgesamt 80 Minuten die Zeit totschlagen. So lange schreiten nämlich die Personen der Handlung sinnfrei durch die Gänge, während nur das Pling der Registrierkasse zu hören ist.
Der Dachboden des Fürsten befindet sich währenddessen einfach über dem Supermarkt. Doch auch dieser Kunstgriff will sich trotz des aufwändigen Bühnenbildes von Steffen Aarfing nicht so recht erschließen. Und auch die dramatischen Elemente der Geschichte, das Scheitern der Liebesbeziehung am Ende oder sogar ein Mord, führen weder zu Dramatik noch zu einer deutlichen Verdichtung. (Daniel Ender, DER STANDARD/Printausgabe 22.2.2010)