Ein Fall aus dem Jahre Schnee: Jetzt soll er fertig werden.

Foto: Regine Hendrich

Vize-Richter-Präsidentin Charlotte Schillhammer versucht zu illustrieren, wie hoch das Arbeitspensum der rund 1700 Richter ist und warum es derer einige hundert mehr braucht.

Foto: Regine Hendrich

Wien - Wäre es eine Woche wie jede andere im Jahr, dann würde Charlotte Schillhammers Talar jetzt nicht so verwaist am Garderobeständer hängen. Da stünde die Vizepräsidentin der Richtervereinigung, in ihre Dienstkleidung gehüllt, schräg vis-à-vis im Verhandlungsraum des Wiener Handelsgerichts - und würde in den kommenden fünf Tagen bis zu 15 Fälle abarbeiten.

Doch diese Woche: verhandlungsfrei! Die Begründung der Standesvertreterin: Es fehlten 430 Stellen für Richter, Staatsanwälte und Kanzleikräfte - was Schillhammer zumindest am eigenen Beispiel anschaulich darstellen kann. Wenn sie ansetzt zu erklären, wie viele Akten "in den letzten Wochen und Monaten liegengeblieben sind", unterbricht das Telefon laufend ihr Gespräch mit dem STANDARD. Und während sie Verfahrensauskünfte erteilt, fällt der Blick auf die Aktenstapeln, die sich auf den Tischen drängen: neun an der Zahl, manche bis zu 30 Zentimeter hoch. Sie künden vom Arbeitspensum der 46-Jährigen Handelsrichterin, von ihren Arbeitstagen, die selten vor acht Uhr abends enden, dank freier Dienstzeit aber auch oft erst am späten Vormittag beginnen.

Wie jenes gelbe Mappendickicht, dessen Inneres von einem Arzt- und Spitalshaftungsprozess erzählt: Schillhammer begann den Fall im September 1999 - heute liegt er wie ein Mahnmal in ihrem Büro: Für die "eigene Sekretärin" und die Zeit, die ihr zur Beendigung der Causa fehlt. "Ich stehe jetzt an dem Punkt, wo ich entscheiden muss, wie es weitergeht mit dem Prozess. Wie bringe ich ihn endlich zu einem Ende? Dafür muss ich mir noch einmal alles von vorne bis hinten anschauen."

Und das heißt laut Schillhammer: "Lesen, lesen, lesen. Nachdenken, nachdenken, nachdenken. Und dann konzentriert arbeiten." Ein Urteil wolle einfach "gut überlegt" sein. Nur wenn Verfahren jahrelang liegenbleiben, sei das "unbefriedigend und frustrierend": "Mir tun die Leute ja leid." Um besser nachdenken zu können, gäbe es auch die vieldiskutierte freie Dienstzeit: um Ruhe zu haben für die komplexen Angelegenheiten. "Viele Kollegen ziehen sich deshalb in den Verhandlungssaal zurück."

Am Montag hält sich dort nur ein auf Medienrecht spezialisierter Kollege auf. Seine Verfahren dulden keinen Aufschub. Wie jene, wo Zeugen extra aus dem Ausland angereist sind. Darüber hinaus: Ruhe im sonst so betriebsamen Haus. Schillhammer nutzt die Zeit zum Abarbeiten der angestauten Fälle. Für Nachmittag hat sich ein Fernsehteam angesagt.

Also hat sich die Richterin als Ausdruck ihres Kampfgeistes eines der Plakate der Richtervereinigung an die Tür gehängt. "Ihr Recht wird eingespart!" heißt es da. Eine Entwicklung, die auch den Klienten bewusst sei: "Ich habe noch keine negativen Reaktionen erlebt. Die haben mitbekommen, dass diese Zustände nicht die Justiz zu verantworten hat, sondern die Regierung."

Vielleicht hat Letztere auch deshalb ein wenig gegengesteuert und den Kollisionskurs mit den Richtern verlassen: Nach anfänglicher Gesprächsverweigerung steht jetzt für Donnerstag ein Treffen mit Staatssekretär Josef Ostermayer und Beamtenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (beide SPÖ) an. Für Schillhammer ein Resultat des mit der verhandlungsfreien Woche erzeugten Drucks: "Der erste Anruf kam vor der Pressekonferenz am Freitag, der zweite gleich danach." Jetzt hat es sich sogar Finanzminister Josef Pröll anders überlegt und will die Richter kommende Woche zum Krisengespräch treffen.

Macht das Kraut nicht fett

Was sich Schillhammer davon erwartet? Ein zähes Ringen um Effizienzsteigerungen und Dienstposten. Und zu beidem hat die Standesvertreterin eine klare Meinung: "Unser Effizienzpotenzial ist ausgeschöpft." Ja, vielleicht, könnten irgendwo noch 15 bis 20 Leute für andere Aufgaben eingesetzt werden, aber "das macht das Kraut nicht fett" .

Und was die Planstellen anlangt: Jene Bedarfserhebung des Beratungsunternehmens Deloitte, die die 430 zusätzlichen Stellen ausgewiesen hat, wurde ja von der früheren Justizministerin Karin Gastinger in Auftrag gegeben, vom Bundeskanzleramt und Finanzministerium begleitet - und war mit Kosten von 1,3 Millionen Euro verbunden. (Karin Moser, DER STANDARD, Printausgabe, 23.2.2010)