Die Strategie, Kunden für dumm zu verkaufen, wird immer weniger laufen, sagt David Bosshart.

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derStandard.at: Der Konsum ist in der Krise konstant geblieben. Hat sich bei den Konsumenten nichts geändert?

David Bosshart: Wenn wir die letzten dreißig, vierzig Jahre anschauen, war der Konsum der Gewinner. Konsum ist in allen Bereichen des Alltages präsent, in jeder neuen kommerziellen Immobilie sind Shopping-Angebote der Begleiter. Das hat dazu geführt, dass der Konsument langsam merkt, dass er wichtiger ist, als das von den Händlern und Herstellern derzeit wahrgenommen wird, ganz zu schweigen von Immobilienverwaltern. Die Menschen sind via Mobilgeräten mit kommerziellen Angeboten im Kontakt, vergleichen Preise im Internet und lernen, ihre Macht durch Pooling auszuüben, wie etwa in Japan oder China. Man geht dabei zu dritt oder zu fünft zu Toyota und sagt: Wir wollen dieses Modell, bitte geben Sie uns Rabatt.

derStandard.at: Technologien spielen dabei eine große Rolle?

Bosshart: Durchaus. Die positive Seite ist, dass viele Unternehmen heute gezwungen sind, ehrlich und transparent zu sein. Ich denke dabei an das Thema Mogelpackung. Es gibt jede Menge Websites, die aufzeigen, wie gelogen und betrogen wird. Ein bisschen PR-Glanz genügt da heute für Unternehmen nicht mehr. Diese Transparenz wird dafür sorgen, dass die Unternehmen automatisch ein bisschen vernünftiger werden.

derStandard.at: Das heißt also nicht per se, dass die Konsumenten kritischer werden, sondern, dass sie die Möglichkeiten, die sie haben geschickt ausnützen?

Bosshart: Genau. Ein wichtiger Punkt ist tatsächlich, dass der Konsument nicht unbedingt kritischer und aufgeklärter sein muss. Aber er lernt über die verschiedenen Werkzeuge, die ja heute fast mehr Spielzeuge geworden sind, dass er seine Bedürfnisse viel besser und direkter einbringen kann. Der Punkt ist: Nicht die Technologie ist das Entscheidende, sondern wie wir sie nutzen. Das Fernsehen zum Beispiel hat unsere Sehgewohnheiten dramatisch verändert, aber noch viel dramatischer hat sich eigentlich die Fernbedienung auf unsere Sehgewohnheiten ausgewirkt. Der Konsument hat damit das erste Mal die Macht bekommen, Werbung oder auch Sendungen, die er nicht sehen will, wegzuzappen.

derStandard.at: Ausblenden ist also die Devise...

Bosshart: Wenn sie unsere Kinder anschauen, für die ist die Nutzung von delete und erase völlig klar: Dinge, die einem nicht gefallen - einfach weg damit. Nur das, was ich wirklich will, lass ich auf mich zukommen und auf meinem Bildschirm erscheinen. Das ist eine Revolution, die wir noch nicht wirklich verdaut haben.

derStandard.at: Stichwort Jugend. Die geht zu H&M und kauft gleichzeitig Fair Trade.

Bosshart: Die jungen Leute sind clever und nicht mehr so naiv - auch im Umgang mit Social Media. Sie lernen sehr rasch und können zurückschlagen. Wenn jemand sie betrügen will, können sie rasch reagieren und zu ihrem Recht kommen. Also sie lernen, diese Werkzeuge sehr für ihren eigenen Nutzen zu gebrauchen.

derStandard.at: Moral und Eigeninteresse scheinen bei den Kaufentscheidungen der jungen Leute relativ gut nebeneinander existieren zu können.

Bosshart: Die jugendlichen Konsumenten sind sehr selektiv. Wenn es um Tiere geht, die sie mögen, sind sie sehr moralisch, wenn es um Gebühren geht, die sie nicht interessieren, dann ist Moral wieder egal. Wir dürfen nicht vergessen: Die jüngeren Menschen sind bei all ihren Lieblingsprodukten mit deflationärer Preisentwicklung groß geworden. Kommunikation, Informationen, Musik, Handygebühren, Textilien, Reisen, Essen sind immer billiger geworden. Das Verrückte ist, dass die Dinge, die sie noch lieber haben, von Google angefangen über Facebook bis zu Youtube, sind gratis. Das ist normal. Aber gleichzeitig ist es auch normal, wenn sie eine Sportjacke kaufen und dafür 250 Euro ausgeben. So etwas nennt man mental accounting - mental Buchhalten. Da sind sie genau so irrational wie die Banker.

derStandard.at: Nicht sehr beruhigend. Andrerseits kann man sich damit einen Freiraum schaffen und entscheiden: Was ist mir etwas wert? Und vermutlich gibt es für Unternehmen Chancen, in diese Freiräume vorzustoßen...

Bosshart: Absolut. Aber man kann das heute nicht mehr husch-husch und PR-mäßig machen. Denken wir an einen DM-Drogeriemarkt. Was dessen Stärke ist, ist die wirklich gelebte Philosophie. Wenn ein Unternehmen nur eine neue Stabstelle mit einem neuen Nachhaltigkeitsbeauftragten schafft, genügt das nicht. Die Kunden werden das merken. Und das ist gut. Auch der Medieneinfluss spielt eine Rolle. Ich erinnere mich an England. Wenn man da einen 17-jährigen zu George W. Bush befragt hat, zog der ein Gesicht und sagte: Das ist ein Idiot. Fragte man nach, warum eigentlich, so lautete die Antwort: Hm. Weil er ein Idiot ist.

derStandard.at: Es ist gar nicht so einfach, als Konsument an Informationen über verschiedene Produkte zu kommen. Wäre Transparenz ein Bonus, den sich ein Unternehmen auf die Fahnen heften könnte? Oder lassen sich die Konsumenten ohnedies lieber für dumm verkaufen?

Bosshart: Die Strategie, Kunden für dumm zu verkaufen, wird immer weniger laufen. Wir sehen, dass man die verschiedenen Medien-Kanäle in ihrer Entwicklung anschauen muss. Der Einfluss von Fernsehen, Radio und Print nimmt immer mehr ab. Gleichzeitig werden andere Medien und Mobilgeräte immer wichtiger. Die Integration der verschiedenen Kanäle wird wahrscheinlich für alle größeren Unternehmen in Zukunft die Herausforderung sein.
Es geht darum, einerseits dass im Laden den emotional besseren Job zu machen, die Kunden freundlicher zu bedienen, gleichzeitig aber am Mobiltelefon, auf der Website und im Callcenter Präsenz zu schaffen.

derStandard.at: Wo bleibt die Moral?

Bosshart: Der physische Kontakt von Angesicht zu Angesicht bleibt das Wichtigste. Wenn ich dort eine emotional gute Leistung erbringe, dann gewinne ich. Wenn ich dort schlechte Leistung erbringe, geht der Kunde nicht mehr hin. Je wichtiger die Technologie wird, umso wichtiger wird das, was die Technologie nicht kann, Emotionalität und Talent ausspielen im persönlichen Kontakt. Das ist auch. das Verkaufstalent herauszustreichen, authentisch zu sein, nicht betrügen zu wollen. Keine Ware zu verkaufen, die nicht hält, was sie verspricht.

derStandard.at: Ihre Worte: Der Kunde stimmt mit seinem Geld ab, viel mehr als mit dem Wahlzettel. Sie sprechen von Konsumdemokratie. Ist sich der Konsument dieser Macht bewusst?

Bosshart: Noch zuwenig. Wir haben auch eine gewisse Schizophrenie entwickelt. Denn der Kunde ist einerseits Bürger. Als solcher bezahlt er seine Steuern. Wenn er Steuern bezahlt, was ja heute auch nicht immer der Fall ist, bezahlt er sie lokal und national. Er möchte gute Infrastrukturen und einen vernünftigen Nachbarn. Als Konsument möchte er gleichzeitig gute Preise herausholen, das ist häufig nicht gut für die Arbeitsplätze und die regionale Produktion. Und er ist auch Investor und möchte eine hohe Rendite, die erzielt er nur mit entsprechendem Risiko auf dem globalen Parkett. Also ist er immer im Widerspruch. Konsument, Bürger und Investor haben verschiedene Blickwinkel. Die große Kunst wird sein, dass die Menschen so mündig und so aufgeklärt sind, dass sie erkennen, wenn ich dem Schlecker und nicht dem DM das Geld gebe, dann erweise ich mir vielleicht keinen guten Dienst. Der ist vielleicht fünf Cent billiger, dafür schaut er nicht, dass die Arbeitsbedingungen gut sind. Man muss auch die Gesamtstruktur eines Unternehmens anschauen.

derStandard.at: Wie konkret wirkt sich diese Macht aus?

Bosshart: Aldi in der Schweiz hat interessanterweise nur Teilzeitstellen gewollt und hat dann gemerkt, der Schweizer Konsument - nicht nur die Gewerkschaften - akzeptieren das nicht. Heute gibt es hier Vollzeitstellen. Der Konsument kann sich überlegen: Wo will ich wirklich mein Geld ausgeben? Das wird in den nächsten Jahren verstärkt kommen.

derStandard.at: Die Menschen werden also verstärkt wahrnehmen, dass sie nicht nur als Konsument, sondern als Bürger, Arbeitnehmer und Investor von ihren Konsumentscheidungen betroffen sind? "Geiz ist geil" - wo sich der Kunde nur in seiner Rolle als Konsument sieht - wäre damit sozusagen überholt.

Bosshart: Wir haben in den letzten Jahren immer mehr die Sichtweise spezialisiert. Heute sehen wir, dass das zwar effizient ist, aber vermutlich nicht nachhaltig. Wir sehen ja jetzt nach dem Ende der naiven Phase der Globalisierung: China produziert immer billiger, der amerikanische Konsument kauft auf Kredit die billigen Waren ein und konsumiert wie wahnsinnig. Das ist kein Modell für die Zukunft. (Regina Bruckner)