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Wachkoma-Patienten mit einem „Minimal Conscious State" besitzen ebenfalls noch Reste der Wahrnehmungsfähigkeit.

Foto: APA/Kay Nietfeld

Wien - „Die Diagnose eines Wachkomas, bei dem Patienten die Wahrnehmung der Umwelt nicht möglich ist, gehört in die Hände von Neurologen, ebenso die prognostische Einschätzung der Krankheit", sagt Michael Ackerl, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN). „Nur so kann das Risiko einer Fehldiagnose oder eine Verwechslung mit dem Locked-In-Syndrom minimiert werden, bei dem Patienten zwar nicht mit ihrer Umgebung kommunizieren können, jedoch wahrnehmen was um sie herum passiert."

Eine Forderung, die jetzt durch die aktuelle Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch Gesundheitsminister Alois Stöger diplomé nachdrücklich bestätigt wird: „Solche Fehldiagnosen passieren sicherlich insbesondere dann, wenn wesentliche Differenzialdiagnosen des Wachkomas („Vegetative State", Apallisches Syndrom) den untersuchenden ÄrztInnen nicht ausreichend geläufig sind", so der Gesundheitsminister. Es bedürfe in solchen Fällen „neurologischer fachärztlicher Expertise, gegebenenfalls untermauert durch elektrophysiologische und bildgebende Zusatzuntersuchungen."

Hintergrund der parlamentarische Anfrage Nr. 3830/J des Abgeordneten Johann Maier (SPÖ) war der tragische Fall des nach einem Autounfall im Jahr 1983 körperlich gelähmten Belgiers Rom Houben: Seine Ärzte hielten ihn fälschlicher Weise 23 Jahre lang für einen Wachkoma-Patienten, der in gestörtem Bewusstsein „dahindämmerte". Tatsächlich konnte er sich nicht mitteilen, war aber möglicherweise wach und bekam eventuell vieles mit.

Eine belgische Studie von Steven Laureys zeigte, dass Patienten auf Intensivstationen und in rehabilitativen Einrichtungen - in Belgien überwiegend von Nicht-Neurologen betreut - zu einem Prozentsatz von 43 Prozent die Diagnose „Vegetative State" bzw. „Minimal Conscious State" zu Unrecht bekommen haben. Erich Schmutzhard (Leiter der Neurologischen Intensivstation der Medizinischen Universität Innsbruck, Vorstandsmitglied der ÖGN): „Das bedeutet, dass sich insbesondere im großen Sektor der Rehabilitationsmedizin, aber auch in der anästhesiologisch geführten Intensivmedizin, offensichtlich in den letzten 15 Jahren nicht sehr viel geändert hat."

Wachkoma: Kein Kontakt zur Umwelt

Der medizinische Hintergrund: Ein „Wachkoma" oder „Persistent Vegetative State" entsteht nach einer schweren Schädigung des Gehirns, die durch eine schweres Schädel-Hirn-Trauma oder - meistens - durch einen Sauerstoffmangel im Gehirn verursacht ist. Betroffene Patienten können wie wach erscheinen, erleben jedoch kein Bewusstsein. Der Kontakt mit der Umwelt und ihre Wahrnehmung ist nicht möglich. Nach einer gewissen Beobachtungszeit spricht man in diesem Fall von einem „persistierenden vegetativen Status", bei dem nicht mehr von einer Besserung der Symptomatik ausgegangen werden kann.

„Es gibt allerdings eine Gruppe von Wachkoma-Patienten, bei denen ein „Minimal Conscious State" vorliegt, es können also noch Reste von Wahrnehmung und Bewusstsein vorhanden sein", so Schmutzhard. „Die Diagnose des Minimal Conscious State ist oft schwierig und erfordert viel Erfahrung in der Beurteilung schwerst Hirn-geschädigter Patienten."

Die Anzahl der Wachkoma-Patienten in allen Stadien der Erkrankung, stationär oder privat betreut, wird mit 10 pro 100.000 Einwohnern angegeben, dass ergibt für Österreich rund 830 Erkrankte.

Locked-In-Syndrom: Wahrnehmung bleibt erhalten

Ganz anders ist das Locked-In-Syndrom einzuordnen. Dabei handelt es sich um eine Schädigung des Hirnstammes, infolge eines Schlaganfalls oder eines Schädel-Hirn-Traumas. Im Unterschied zum Wachkoma sind dabei die wesentlichen Funktionen des Großhirns intakt. Bewusstsein und Wahrnehmung der Patienten ist erhalten, sie können sich jedoch nicht mitteilen. Typischerweise ist die vertikale Augenbewegung bei diesen Patienten erhalten, sodass über einen Code der Augenbewegungen auch die Kommunikation möglich ist.

Langfristige neurologische Betreuung erforderlich

Aus neurologischer Sicht, so Schmutzhard, sollte es selbstverständlich sein, dass Wachkoma-Patienten kontinuierlich betreut werden, um frühzeitig eine Veränderung des Krankheitsbildes zu erfassen und die notwendigen medizinischen und rehabilitativen Schritte beizubehalten oder gegebenenfalls neuerlich einzuleiten.

Schmutzhard: „Damit eine so dramatische Fehldiagnose wie bei Rom Houben vermieden werden kann, brauchen wir Fachärzte für Neurologie, die in der Intensivmedizin erfahren sind, und ebenso eine neurologische Mitbetreuung von Patienten mit „Wachkoma" in den weiterführenden Versorgungseinrichtungen." (red)