Die Italiener entdecken nun jeden Tag neue Korruptionsfälle. Sie betreffen meist die regierende Rechte.

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18 Jahre nach dem politischen Erdbeben von "mani pulite", der Volks- und Richterbewegung, wird Italien erneut von einer Serie gigantischer Korruptionsskandale erschüttert. Fast täglich bringen die Zeitungen neue Bestechungsaffären ans Licht. "Italien wird von der Illegalität erdrückt" , warnt der Präsident der Anti-Mafia-Kommission und frühere Innenminister Giuseppe Pisanu: "Die Korruption ist schlimmer als zur Zeit von Tangentopoli und gefährdet den sozialen Zusammenhalt unseres Volkes."

Dass der Vorsitzende der Urbanistikkommission der Stadt Mailand, Milko Pennisi, von einem Bauunternehmer ebenso ein Kuvert mit Bargeld forderte wie der Präsident der Provinz Vercelli, Renzo Masoero, gehört zu den eher harmlosen Bestechungsfällen. Die Verhaftung der beiden Politiker des Rechtsbündnisses wenige Wochen vor den wichtigen Regionalwahlen löste bei Premier Silvio Berlusconi Besorgnis aus. Von einem neuen Tangentopoli-Skandal könne keine Rede sein. Es handle sich um "birbantelli" , kleine Gauner, die Geld in eigene Tasche steckten.

Neue Dimension

Den wenige Tage später fälligen Ermittlungsbescheid für Zivilschutz-Chef Guido Bertolaso und die Verhaftung mehrerer seiner Mitarbeiter quittierte der Regierungschef mit der üblichen Justizschelte: "Die Staatsanwälte sollten sich schämen." Doch die Dimensionen des Skandals führten den Italienern vor Augen, dass die gute alte "tangente" - wie das Schmiergeld in Italien heißt - weitgehend ausgedient hat.

Aus den Mitschnitten unzähliger Telefongespräche ergab sich das Bild eines dicht gewobenen Netzes von Gefälligkeiten und Dienstleistungen, mit denen sich Politiker, Unternehmer und Verwalter gegenseitig begünstigten: Arbeitsplätze für Söhne und Verwandte, Wohnungssanierungen, Urlaubsreisen, Aufenthalte in Luxushotels, Autos, Prostituierte, Aktien, Schecks, Handys, Möbel.

Dass in diesem schockierenden Sumpf Berlusconi-Intimus Denis Verdini eine wesentliche Rolle spielte, nutzten parteiinterne Gegner zur Demontage des ungeliebten Koordinators des Volks der Freiheit. Der Premier zeigte sich angewidert: "Wenn ich könnte, würde ich die Partei auflösen." Unter dem Druck der Ereignisse kündigte er ein "Gesetz zur Eindämmung der Korruption" an. Das war noch nicht formuliert, da deutete sich am Mittwoch neues Ungemach an. Ein Geldwäscheskandal bisher unbekannten Ausmaßes brachte Fastweb-Gründer Silvio Scaglia ins Gefängnis und den Senator des Rechtsbündnisses, Nicola Di Girolamo, in arge Not. "Auch wenn du Staatspräsident wirst, du bleibst mein Sklave und musst gehorchen" , macht ein rabiater Mafioso dem Politiker am Telefon klar.

Di Girolamo wurde mit tatkräftiger Unterstützung der 'Ndrangheta in einem Auslandswahlkreis in Brüssel gewählt, seine dortige Ansässigkeit war erschwindelt. Er habe mit der Mafia nichts zu tun, versicherte der Senator nach dem Haftbefehl. Doch ein vom Nachrichtenmagazin Espresso veröffentlichtes Foto zeigt ihn mit dem 'Ndrangheta-Boss Franco Pugliese, dem er freundschaftlich die Hand auf die Schulter legt. Das Parlament scheint nun bereit, der 2008 verweigerten Aufhebung seiner Immunität zuzustimmen.

Die 58 Angeklagten der jüngsten Affäre sollen durch Gründung zahlreicher Scheinfirmen zwei Milliarden Euro Schwarzgeld reingewaschen haben. "Ein furchterregendes Korruptions-Szenario" , klagt der Christdemokrat Pier Ferdinando Casini. Doch die Bestechung bleibt nach Überzeugung des Corriere keineswegs auf die Politik beschränkt: "In Italien ist überall und bei jeder Entscheidung Geld im Spiel."

600.000 Dollar vom Premier

Der prominenteste Korruptionsfall des Landes wurde am Donnerstag entschärft. Das Höchstgericht erklärte die Bestechung des Anwalts David Mills durch Berlusconi zur verjährten Straftat. An der Zahlung des Schmiergelds von 600.000 Dollar durch den Premier ließen die Richter freilich keine Zweifel aufkommen. (Gerhard Mumelter aus Rom/DER STANDARD, Printausgabe, 27.2.2010)