Wenn man schon ein Monument wie den Mittelwellensender auf dem Bisamberg zum Einsturz bringt, sollte man dessen Anfänge nicht unerwähnt lassen.

Die hochangesehenen Radioingenieure der Österreichischen Radioverkehrsaktiengesellschaft - kurz Ravag genannt - suchten seinerzeit einen geeigneten Platz für einen modernen Mittelwellensender.

Die Zeit der Detektoren war schließlich vorbei. Nach peniblen Berechnungen wurden sie fündig: Ein ganz bestimmtes Grundstück wurde vermessen und für gut befunden. Genau dieses Grundstück gehörte aber einem gewissen "Kernreiter Rudl". Dieser wies sich als ehemaliger Kutscher eines Erzherzogs aus, was plausibel klang, denn er war noch ordinärer als der Kutscher des ehemaligen Kronprinzen Rudolf namens Bratfisch.

Der "Kernreiter Rudl" verlangte für den Verkauf seiner Wiese nicht nur den zehnfachen Verkehrswert, sondern auch eine Fixanstellung bei der Ravag. Der Handel wurde abgeschlossen, der Sender gebaut und der "Kernreiter Rudl" wurde Kraftfahrer auf einem Übertragungswagen.

Kontinuität im Wandel

Seit meiner Kindheit verfolgte mich das schlechte Programm von Radio Wien. Vor allem Musiksendungen. Der Nachmittag gehörte den sogenannten Salonorchestern. Sie spielten Charakterstücke oder Suiten mit Titeln wie Am Waldesrand, Ein Student geht vorbei, Drei Nymphen am See von Komponisten wie Alois Pachernegg oder Emil Waldteufel. Und alles kam wie ein Tsunami auf Mittelwelle über den Bisamberg .

Diese Welle schwemmte mich auf meiner studentischen Jobsuche in den Himmel: Ich wurde Sprecher und Reporter beim amerikanischen Sender Rot-Weiß-Rot. Dort gab es die beste Musik, die besten Nachrichten, die besten Unterhaltungssendungen. Und unser Sender stand auf dem Kahlenberg.

Der Österreichische Staatsvertrag, ein Glück für die Nation, war ein Unglück für "Rot-Weiß-Rot". Die Amerikaner zogen ab, der Sender wurde zugesperrt. Schluss mit Vergnügt um elf und Fred Ziller, Schluss mit Watschenmann und Radiofamilie, Schluss mit Musik zum Träumen mit Luise Martini und Teddy Podgorski. Jetzt regierten wieder die Nymphen am See.

Wer das Glück hatte, bei Radio Wien als Asylant aufgenommen zu werden, dem öffnete sich im Funkhaus eine Harry-Potter-Welt der Dreißigerjahre. Alle Angestellten trugen weiße Arbeitsmäntel und waren über 40 Jahre alt. Sie waren immer treue Diener des Regimes, sei es bei der Heimwehr, wie der amtierende Direktor Henz, oder bei der NSDAP oder bei beiden. Der Generaldirektor hieß Übelhör und wohnte in der Taubstummengasse.

Es gab im ganzen Haus kein Toilettenpapier. Das wurde nur einmal pro Woche an die Fixangestellten ausgegeben.

Meine Bezugsperson war ein Fixangestellter namens Stockhammer. Er hatte täglich eine schwere Aufgabe zu bewältigen. Er musste eine Sendung mit dem Titel Bericht aus Berlin von 20 auf zehn Minuten kürzen. Ich sollte ihn entlasten. Und es war wirklich nicht leicht. Schließlich sollte ja der Sinn und der Inhalt dieses Berichtes im Wesentlichen erhalten bleiben. Verzweifelt und schwitzend quälte ich den Techniker im Tonstudio. Der meinte schließlich, dass mein Chef, der Herr Stockhammer, viel schneller wäre als ich. Und tatsächlich: Er musste ein Genie sein. Kaum war er im Schneideraum verschwunden, kam er mit der bearbeiteten Rolle schon wieder zurück.

"Wie machen Sie das, Herr Stockhammer", fragte ich ihn. Da lächelte er milde, nahm mich in den Schneideraum mit, startete das Tonband und schnitt es nach zehn Minuten ab. Voila!

Himmelfahrtskommando

Nach diesem lehrreichen Einstieg in die Mittelwelle durfte ich auch manchmal auf Reportage fahren. Einmal zum israelischen Botschafter. Mit dem "Kernreiter Rudl". Ein Himmelfahrtskommando. - Der Botschafter war sehr nett und bot mir nach dem Interview ein Glas "Carmel Wein" an. Ich lehnte ab mit dem Hinweis auf den wartenden Fahrer. Jetzt rief der Botschafter, trotz meiner flehentlichen Proteste, den "Kernreiter Rudl" herein.

Das konnte nicht gutgehen.

Der Botschafter war aber gut aufgelegt und erzählte einen jüdischen Witz: Sitzen zwei Juden in einem Hotel in Tel Aviv. Sagt der eine zum anderen: "Entschuldigen Sie, von wo sind Sie?" Sagt der andere: "Aus New York." - "Aus New York? Allerhand. Was machen Sie in New York?" - "Ich hab eine Zeitung." - "Sie haben eine Zeitung? Wie heißt die Zeitung?" - "Semit." - "Semit? Und davon können Sie leben?" - "Die Goim lesen verkehrt: Times."

Der Botschafter erstickte vor Lachen. Der "Kernreiter Rudl" wurde immer argwöhnischer. Erstens schmeckte ihm der "Carmel Wein" nicht, und zweitens hatte er den Witz nicht verstanden.

Dann erzählte der Botschafter noch, leutselig wie er war, über das Leben in Israel. Er beklagte, dass alles teurer wird, dass die Fußballer schlecht spielen, dass die Autobusse unglaubliche Verspätungen haben und die Politiker machen, was sie wollen.

Der Groschen fiel

Dann machte er eine Pause, um noch etwas "Carmel Wein" zu holen. Und in diese Pause sagte der "Kernreiter Rudl": "Also des is guat, sehr guat! Des is ja genauso wie bei uns - bei de Weißen."

Vielleicht denken Sie, dass das nicht hierher gehört. Ich glaube schon. Man hätte das alles sagen sollen, bevor man den Mittelwellensender auf dem Bisamberg gesprengt hat.

Die Explosion wäre viel prächtiger ausgefallen. (Thaddäus Podgorski/DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.2.2010)