Am 1. März 1970 errang die SPÖ unter Bruno Kreisky wider alle Prognosen eine relative Mehrheit. Heinz Fischer, damals Sekretär des SP-Parlamentsklubs, heute Staatsoberhaupt, erinnert sich: "Kreisky war dann 13 Jahre Bundeskanzler und hat das Land sehr wesentlich verändert. Das ist einfach eine wichtige Etappe der Geschichte der zweiten Republik und unseres Landes gewesen." Kreisky hatte zunächst nach Absprache mit FPÖ-Chef Friedrich Peter eine Minderheitsregierung gebildet, wagte schon 1971 Neuwahlen und errang die absolute Mehrheit, die er 1975 und 1979 triumphal ausbaute. Fischer: "Wenn man das mit heutigen Wahlergebnissen vergleicht, ist das bestimmt eine Reihe von imposanten Ergebnissen gewesen."

Der Unterschied zu heute bestand auch darin, dass Kreisky mit einem umfassenden, von vielen Experten ausgearbeiteten Reformkonzept der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierung antrat. Fischer: "Es war ein Klima des Aufbruches, es war ein Bauplatz, der zum Aufbauen eingeladen hat. Eine Reformagenda hat sich geradezu aufgedrängt."

Warum ist davon heute (in beiden Regierungsparteien) nichts mehr zu spüren? Die Rahmenbedingungen seien nicht zu vergleichen, meint Fischer. "Wir haben heute auch einen Reformrückstau, aber viele Menschen haben geradezu Angst vor dem Wort Reform. Damals war das mit neuen Chancen, mit verbesserten Bedingungen, mit höheren Sozialleistungen verbunden, heute geht das häufig in eine andere Richtung." Kreisky sei ein Genie im Umgang mit Menschen und Medien gewesen: "Er vermittelte dem Publikum den Eindruck - das erzählt er jetzt nur mir."

Bruno Kreisky habe als Kanzler auch das geistig-politische Klima des Landes verändert. In diesem Zusammenhang will Fischer zur kommenden Präsidentenwahl noch nichts sagen, aber grundsätzlich: "Das unmittelbare politische Tagesgeschäft liegt nicht in der Hofburg, aber natürlich kann auf das Klima in einem Land Einfluss genommen werden. Ich selbst habe mir vorgenommen und nehme mir weiter vor, für bestimmte Prinzipien und Werte einzutreten und klarzumachen, dass es Haltungen gibt wie Menschenfeindlichkeit, Intoleranz, Missachtung der Menschenrechte, zu denen man klar und deutlich abgrenzend Stellung nehmen muss und dass man Gerechtigkeit, Fairness und Solidarität und demokratische Prinzipien unterstützen muss." (Hans Rauscher, DER STANDARD, Printausgabe, 27.2.2010)