Keine Großmacht ist heute bereit, einen nuklear bewaffneten Iran zu akzeptieren. So lautet seit bald fünf Jahren der Refrain im diplomatischen Streit mit Teheran. Richtig? Nicht wirklich. Es gibt Staaten, für die eine Atommacht Iran weniger schrecklich ist, als es die USA oder die Europäer finden. China gehört dazu.

Wenn die Botschafter der Mitgliedstaaten der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien diese Woche wieder sorgenvoll den Fortgang der Urananreicherung im Iran erörtern und einander gegenseitig versichern, dass das Kompromissangebot der IAEO an Teheran nun wirklich tot sei, dann wird Pekings Emissär immer noch Raum für neue Verhandlungen sehen. Denn von China aus betrachtet, nimmt sich ein Atomstaat Iran anders aus als durch die US-amerikanische oder israelische Brille: ein wenig kleiner, durchaus beherrschbar, nicht ganz ohne Nutzen. Mit der strategischen Latte gemessen wäre Chinas Bündnis mit einem atomar bewaffneten Iran ein Vorteil - der große Hebel, um den alleinigen Zugriff der USA auf die Energiereserven im Golf zu beenden.

Freilich, die chinesische Regierung hat im Sicherheitsrat der Uno schon drei Sanktionen gegen den Iran mitgetragen und im Gouverneursrat der IAEO in Wien mehrmals bei Resolutionen mitgestimmt, die Teherans Aufrichtigkeit in Zweifel zogen und das Land ultimativ zur Zusammenarbeit mit den Atominspektoren aufforderten. Doch die Kosten waren jedes Mal hoch. Die USA und die Europäer mussten hinnehmen, dass geplante Strafmaßnahmen gegen den Iran erst verschleppt, dann verwässert wurden.

China hat in der Iranfrage eine Wahl, die der Westen beeinflussen kann und muss: Zusammenarbeit mit den anderen vier ständigen Sicherheitsratsmitgliedern der Uno in einer so zentralen Frage für die internationale Sicherheit vergrößert Chinas Gewicht in der Welt. China bekäme erstmals Ansehen als verantwortungsvoller Akteur auf der internationalen Bühne, wenn es die Sache der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen zu seiner eigenen macht. Die Führung in Peking ist sich dessen natürlich bewusst. Das Problem ist: Man gewinnt den Eindruck, die Chinesen spielten in der Iranfrage mehr mit diesem Mittel, als dass sie es ernsthaft nutzten.

Chinas Verhältnis zur Islamischen Republik hat zwei Seiten. Es gibt das gemeinsam geteilte Gefühl der Underdogs, der vom Rest der Welt lange Minderbehandelten, Unverstandenen. Das erklärt schon einmal die Zurückhaltung der Chinesen, rasch mit UN-Sanktionen zu wedeln. Im Iran-IrakKrieg der 1980er-Jahre stand Chinas kommunistische Führung aufseiten der Theokraten; Peking war damals der wichtigste Waffenlieferant des Iran und schloss profitable Verträge.

Erdöl und Gas sind die zweite Seite der iranisch-chinesischen Beziehungen. Allein im vergangenen Jahr schloss China mehrere Milliardenverträge für den Ausbau iranischer Raffinerien und einer neuen Pipeline, China National Petroleum beteiligte sich mit fünf Milliarden Dollar an der Erschließung des Gasfeldes South Pars.

Für China ist der Iran eine Investition in die Zukunft, ein Garantieschein für die Deckung des enormen Energiebedarfs der nächsten Jahrzehnte. Ob der Iran ein paar hundert Kilo Uran anreichert, kümmert China da nicht viel. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.3.2010)