Wien - Es klingt nach einer sperrigen Materie, könnte aber zu einem hochemotionalen Wahlkampfthema werden: Schaffen es die Wiener Ärztekammer (WÄK) und die Gebietskrankenkasse (WGKK), sich auf einen neuen Gesamtvertrag zu einigen? Wer verhält sich geschickter im Millionenjonglieren? Per 31. Dezember 2009 lief der derzeit gültige Vertrag zwischen WÄK und WGKK aus. Vier Verhandlungsrunden gab es 2010 bereits - sie endeten ohne eine nennenswerte Annäherung. 13 MillionenEuro beträgt derzeit das Finanzloch zwischen den Positionen von Ärzten und Kasse.
Die Ausgangssituation ist vertrackt, denn die WGKK bewegt sich in einem engen finanziellen Korsett. Mit dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger sind auf einer sogenannten Balanced Scorecard Finanzziele für einzelne Leistungsbereiche vereinbart. Hält sich die Kasse nicht daran, dann gibt es kein Geld aus dem Strukturtopf des Bundes zur Kassensanierung. 23 Millionen Euro würden den Wienern dadurch entgehen. 416 Millionen Euro kann die Kasse gemäß der Balanced Scorecard an Honoraren ausgeben; 429 Millionen fordern die Ärzte - laut Angaben der Kammer bereits unter der Annahme, dass es 2010 eine Nulllohnrunde unter den Medizinern gibt, was freilich eine Zerreißprobe für die Standesvertreter bedeuten würde.
Konstruktiv bis irritierend
Die Protagonisten des Verhandlungsteams sind Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart und WGKK-Obfrau Ingrid Reischl. Sie weilt derzeit im Ausland, in der Kasse gibt man sich aber bewusst optimistisch und spricht von einem "konstruktiven Tonfall" bei den Verhandlungen. Die Ärztevertreter sprechen hingegen von "Dialogverweigerung" . Er vermisse "Verbindlichkeit und Verantwortung für die Gesamtversorgung" , sagte Steinhart am Mittwoch zum Standard, stattdessen gebe es seitens der WGKK eine "sklavische Ergebenheit zu irgendeiner Zahl. Das ist sehr irritierend und verhindert sinnvolle Verhandlungen" . In der Kasse wird derzeit an einem Papier gefeilt, das den Ärzten als Kompromissvorschlag vorgelegt werden soll. "Dann schauen wir weiter" , meint Steinhart.
Bis zu einer Einigung gilt der Gesamtvertrag des Vorjahres - mit dem die WGKK ihre Finanzziele freilich nicht erreichen würde. Gekündigt könnte der Vertrag per 31. März werden, nach einer dreimonatigen Kündigungsfrist und einer möglichen Einschaltung eines Schiedsgerichtes stünde dann spätestens im Herbst 2010 - also mitten im Wiener Wahlkampf - ein vertragsloser Zustand ins Haus. Daran will offiziell freilich noch niemand denken.
Diskussion ohne Teilnehmer
Um Ärzte und Öffentlichkeit über den Status quo der Verhandlungen zu informieren, lud die Ärztekammer am Dienstagabend zu einer Diskussion in die Wiener Urania. Doch außer Steinhart, einem Vertreter der niedergelassenen Ärzte und Grünen-Gesundheitssprecherin Sigrid Pilz wollte niemand dieser Einladung folgen. Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SP) schlug sie ebenso aus wie VP-Gesundheitssprecherin Ingrid Korosec. Der stellvertretende Hauptverbandsgeneraldirektor Christoph Klein und Ex-WGKK-Obmann Franz Bittner standen bereits auf der Einladung - um dann wieder abzusagen. Von Kassenseite wolle man sich nicht öffentlich zu laufenden Verhandlungen äußern, heißt es. (Andrea Heigl/DER STANDARD-Printausgabe, 4.3.2010)