Frau Clara meint: "Jetzt habe ich die Zeit zwar schon fast überstanden, in der alle rund um mich fasten. Dennoch will ich mich an Sie wenden: Tun Sie es auch? Und wenn nein, fühlen Sie sich schlecht dabei?" Liebe Frau Clara, Sie sprechen rechtzeitig ein wichtiges Thema an. Tatsächlich tritt das Fasten in seinen verschiedenen grausamen Varianten heuer geradezu epidemisch auf. Ich würde einen Schluck Hitghurt (0 %) darauf verwetten, dass sich diese ätherischen Wesen mit ihren spitzen Grüntee-Mündern und den eingefallenen Wangen aber nur aus einem Grund gut fühlen: aus Bosheit. Denn sie verderben nicht nur sich selbst, sondern auch allen anderen die ohnehin instabile Aprillaune. Während sich Nichtfaster mit seriösen Themen wie "gerührt oder geschüttelt" beschäftigen, schütteln sie trotzig den Kopf und sehen scheinbar gerührt dabei zu, wie sich die normal Gebliebenen unverdrossen ein bisschen Stimmung antrinken. Erschwerend kommt hinzu, dass Fasten ansteckend ist. Ob im Büro, beim Business-Lunch oder in der sonst heiteren Freundesrunde: Überall sitzen sie herum, kauen verhärmt ihre klare Bouillon und machen den anderen ein schlechtes Gewissen. Nie würden sie nachher zugeben, dass es ihnen mindestens genauso gut ginge, hätten sie auf die Fastenkur verzichtet. Ganz ehrlich, Frau Clara, ich bewundere Sie für Ihre Willensstärke, dieser selbst auferlegten Tortur widersagt zu haben. Sollte ich Ihnen heute leicht gereizt vorkommen, so verzeihen Sie mir bitte. Denn was mich neben dem nun schon 30-tägigen Veltliner- und Topfennockerl-Entzug besonders grantig macht: Ich habe erst ein halbes Kilo, aber schon jede Menge Freunde verloren. Die werden vermutlich erst zu Ostern wieder mit mir reden. Bei einem kleinen Bier. Und einem Achtel Rot. Und Lammbraten. Und Kitz gebacken. Und Beinschinken in Brotteig. Und Riesen-Panettone. Und. . . Freundlichst, Linda.Reiter (Der Standard/rondo/11/04/2003)