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Demonstranten in Reykjavik am Samstag.

Foto: Reuters/Bob Strong

Reykjavik - Die Isländer haben am Samstag in einer Volksabstimmung dem umstrittene Icesave-Rückzahlungsgesetz für Bankenschulden in Großbritannien und den Niederlanden eine schwere Abfuhr erteilt. Laut Teilergebnissen bei einem Auszählungsgrad von knapp einem Drittel der Stimmen haben sich 93,1 Prozent der teilnehmenden Bürger gegen die Rückzahlung von 3,9 Milliarden Euro an die beiden Länder bis ins Jahr 2024 zu einem Zinssatz von 5,5 Prozent ausgesprochen. Nur 1,6 Prozent stimmten demnach mit "Ja".

Ministerpräsidentin Johanna Sigurdardottir sagte im Fernsehen, das Ergebnis komme "nicht unerwartet". Das Gesetz sei nach weiteren Verhandlungen der vergangenen Wochen mit den Niederlanden und Großbritannien ohnehin bereits obsolet gewesen, und die Volksabstimmung habe dies lediglich bestätigt. Nach Meinungsumfragen vor dem Referendum waren 70 bis 80 Prozent Nein-Stimmen erwartet worden.

54 Prozent gingen abstimmen

Die sozialdemokratische Regierungschefin hatte noch am Vortag die Bürger dazu aufgerufen, nicht zur Abstimmung zu gehen und angekündigt, selbst nicht daran teilzunehmen. Die Beteiligung an der Abstimmung lag eine Stunde vor Schließen der Wahllokale in Reykjavik allerdings immerhin bei über 54 Prozent.

Auch Finanzminister Steingrimur Sigfusson von den Links-Grünen, der ebenfalls demonstrativ nicht zur Abstimmung ging, zeigte sich nicht überrascht von der klaren Anlehnung. Beide Koalitionspartner betonten, das Ergebnis der Volksabstimmung werde keine Auswirkungen auf die Regierungszusammenarbeit haben. Sozialdemokraten-Chefin Sigurdardottir hatte bereits am Freitag klargestellt, die Regierung werde im Fall eines Neins beim Referendum keinesfalls zurücktreten.

Staatspräsident Olafur Ragnar Grimsson hatte das vom Parlament mit großer Mühe verabschiedete sogenannte "Icesave-Gesetz" nicht beurkundet und so Anfang Jänner verhindert, dass es in Kraft trat. Nach Protesten der Bevölkerung gegen das Gesetz verlangte er die Volksabstimmung. Es war das erste Referendum seit der Unabhängigkeit Islands von Dänemark im Jahr 1944. Stimmberechtigt waren rund 228.000 Bürger.

Noch vor Wahlschluss am Samstag verteidigte Grimsson sein Vorgehen erneut: "Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass Sie sich bei der Wahl zwischen der Demokratie und den Finanzmärkten für die Demokratie entscheiden müssen", sagte Grimsson in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP in seiner Residenz nahe der Hauptstadt Reykjavik. In den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten hätten die Finanzmärkte die Vorherrschaft gehabt, und die Demokratie sei demgegenüber ins Hintertreffen geraten. Im Übrigen habe die Ansetzung des Referendums bereits den positiven Effekt gehabt, dass die Milliarden-Entschädigung auf den Prüfstand gestellt worden sei. Zahlreiche Experten seien dabei zu dem Schluss gekommen, dass die Briten und Niederländer "Island über Gebühr gehänselt" hätten.

Verhandlungen gehen weiter

Inzwischen ist es bei weiteren Verhandlungen in London bisher nicht gelungen, ein neues Abkommen mit den beiden Gläubigernationen auf die Beine zu stellen. Es geht um die Rückzahlung der Schulden Islands aus den im Zuge des Banken-Crashes im Herbst 2008 geplatzten Konten von rund 343.000 britischen und niederländischen Kunden der Online-Bank Icesave, eine Tochter der damals verstaatlichten Landsbanki. Bereits zwei im Vergleich zu den Regelungen des Icesave-Gesetzes jeweils für Island günstigere Angebote sind auf dem Tisch gelegen: Die Gegenseite lehnte diese aber ab. Das isländische Außenministerium teilte am Samstagabend in einer Aussendung mit, die Arbeit an einer für alle Beteiligten Seiten akzeptablen Lösung werde fortgesetzt.

Die isländische Regierung versuchte bis zuletzt, die Volksabstimmung noch zu verhindern, beziehungsweise zu verschieben. Denn auf dem Spiel steht für Island nicht nur der Verhandlungsbeginn über den nach der Finanzkrise angestrebten EU-Beitritt, sondern vor allem auch die Weiterzahlung internationaler Milliardenkredite, die für die Aufrechterhaltung der angeschlagenen Wirtschaft und Staatsfinanzen notwendig sind. Derzeit ist unklar, ob und welche Auswirkungen das Abstimmungsergebnis darauf haben wird. Die Regierung in Reykjavik kündigte noch vor dem Referendum an, schon kommende Woche weitere Gespräche mit London und Den Haag über eine neue Rückzahlungsvereinbarung führen zu wollen.

Streitpunkt mit London und Den Haag sind die Zinsenbedingungen für die Rückzahlung der Schulden. Die Isländer sind mehrheitlich der Ansicht, dass ihnen der nun abgelehnte Deal aufgezwungen wurde. Außerdem fragen sie sich, weshalb sie für die Versäumnisse ihrer früheren Regierung zahlen sollen. Im Stadtzentrum von Reykjavik demonstrierten am Samstag etwa 1.000 Isländer und forderten ein größeres Mitspracherecht in der Angelegenheit. Großbritannien und die Niederlande hatten mehr als 300.000 ihrer Bürger mit den 3,9 Mrd. Euro entschädigt und wollen das Geld nun beim isländischen Staat eintreiben. (APA)