Bild nicht mehr verfügbar.

"Jesus, unser Heiland" prangt an den Mauern dieses zerstörten Hauses im zentralnigerianischen Jos. Christen waren bei der jüngsten Gewaltwelle offenbar im Visier der muslimischen Angreifer.

Foto: EPA/STR

Bild nicht mehr verfügbar.

Quelle: APA

Jos/Nairobi - Es war mitten in der Nacht, als die Bewohner von Dogo Nahawa von Schüssen geweckt wurden. "Wir hatten Angst und sind aus unseren Häusern gerannt" , berichtet Dalyop Gyang, einer der wenigen Bewohner, die das folgende Massaker überlebten. "Als wir vor den Hütten standen, warteten schon die Angreifer auf uns" , berichtet er. "Sie haben mit Macheten auf uns eingeschlagen, Hütten angezündet und auf die Fliehenden geschossen."

Unter den hunderten Leichen, die die Angreifer nach dem zwei Stunden währenden Blutbad zurücklassen, sind viele Frauen, Kinder und Alte - all jene, die nicht schnell genug fliehen konnten. Mehr als 500 Tote zählt die Regierung von Nigerias Bundesstaat Plateau nach dem Überfall in Dogo Nahawa Sonntagnacht und zwei ähnlichen Massakern in Dörfern südlich der Stadt Jos.

"Ethnische Säuberung"

"Unsere vorläufigen Ermittlungen belegen, dass die bewusst als barbarische Akte geplanten Angriffe gut koordiniert waren" , erklärte Informationsminister Gregory Yenlong am Montag. "Es handelt sich um eine ethnische Säuberungsaktion gegen die Berom." Damit unterstützt Yenlong die Aussagen von Augenzeugen, dass muslimische Hirten vom Volk der Haussa-Fulani die Täter seien. Sie hätten das Dorf eingekesselt und zugeschlagen, um Vergeltung gegen einen ähnlichen Überfall auf ihr eigenes Dorf im Jänner zu üben. Die Opfer sind diesmal fast ausschließlich Berom, eine aus dem Zentrum Nigerias stammende Ethnie, die mehrheitlich christlichen Glaubens ist.

Hinter den religiös und ethnisch verbrämten Angriffen steckt nach Ansicht vieler Beobachter ein ständig wachsender Konflikt um immer knappere Ressourcen. Die Ausschreitungen häufen sich dramatisch: 2001 gab es erstmals Unruhen in der Stadt, mehr als 1000 Menschen starben. Jahrelang blieb es ruhig, bevor erneut gekämpft wurde. Doch seit Ende 2008 ist die Stadt dreimal von Gewaltwellen erschüttert worden, zuletzt vor einigen Wochen. Straßensperren des Militärs und eine nächtliche Ausgangssperre konnten die neuen Übergriffe nicht verhindern. Auch deshalb glauben immer mehr Bewohner der Region an der Nahtstelle zwischen dem mehrheitlich christlichen Süden und dem vorwiegend muslimischen Norden Nigerias, dass nur noch Milizen ihrer eigenen Ethnie und Religion in der Lage sind, sie zu schützen.

Diese Milizen sind vor allem Jugendliche, die immer weniger Perspektiven haben. Hauptproblem ist die Arbeitslosigkeit: Der staatliche Mischkonzern Nasco, einst größter Arbeitgeber der Region, ist nach Missbrauchs- und Korruptionsvorfällen pleite. Die Werkshallen, die sich entlang der Hauptstraßen ziehen und in denen einst mehr als 10.000 Menschen Arbeit fanden, stehen leer.

Während die Berom Angst vor "Überfremdung" als Grund für ihre Angriffe nennen, kritisieren die Haussa-Fulani - viele in zweiter oder dritter Generation - gesetzliche Hürden, die sie als "Siedler" faktisch zu Bürgern zweiter Klasse machten. Kein Politiker, ärgert sich der muslimische Friedensaktivist Umar Farouk, traue sich, diese Gründe anzusprechen. "Unsere Politiker sind Lügner, sie heizen die Unruhen an, damit sie die wahren Probleme nicht angehen müssen." In dieser Einschätzung ist Farouk sich selbst mit radikalen Christen einig.

Obwohl die Polizei in Jos am Montag miteilte, gut einhundert Angreifer seien festgenommen worden, rechneten viele Bewohner in der Stadt mit neuen Vergeltungsschlägen. "In den Slums warten manche Berom nur auf den Sonnenuntergang, um gegen ihre muslimischen Nachbarn zuzuschlagen" , sagt ein Bewohner, der sich nur anonym äußern wollte. (Marc Engelhardt, DER STANDARD, Printausgabe 9.3.2010)