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Die Odenbach-Schule galt als Vorzeigeanstalt - nun werden schwere Missbrauchsfälle bekannt

Foto: APA/BORIS ROESSLER

Berlin - Unter dem Eindruck der zahlreichen Missbrauchsvorwürfe an deutschen Schulen will Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) die Prävention stärken. Sie werde über konkrete Maßnahmen beraten, "um weiteren Fällen von Missbrauch vorzubeugen, Opfern zu helfen und damit Vertrauen auch bei Eltern wiederherzustellen", sagte sie der Bild am Sonntag. Sie forderte von den betroffenen Bildungseinrichtungen vollständige Aufklärung: "Nichts darf verheimlicht werden."

Denn nicht nur in zahlreichen katholischen Einrichtungen scheint es in den vergangenen Jahrzehnten zu sexuellem Missbrauch gekommen sein. Die Frankfurter Rundschau berichtet, an einer renommierten Reformschule im hessischen Odenwald könnte es bis zu 100 Opfer gegeben haben. Der Vorstand der 1910 gegründeten Odenwaldschule (OSO) in Heppenheim habe "den jahrelangen Missbrauch von Schutzbefohlenen durch Pädagogen" eingeräumt.

Die Schulleiterin Margarita Kaufmann sagte: "Es ist für mich eine Tatsache, dass hier mindestens seit 1971 sexueller Missbrauch stattgefunden hat." Ehemalige Schüler berichteten der Zeitung davon, wie sie von Lehrern regelmäßig durch das Streicheln der Genitalien geweckt, wie sie als "sexuelle Dienstleister" für ganze Wochenenden eingeteilt und zu Oralverkehr gezwungen wurden. Einzelne Pädagogen hätten ihren Gästen Schüler zum sexuellen Missbrauch überlassen.

Schon Ende der 90er-Jahre waren Vorwürfe gegen den ehemaligen Direktor laut geworden, der in den 70er- und 80er-Jahren Kinder missbraucht haben soll. Die Ermittlungen wurden allerdings wegen Verjährung eingestellt.

Zu den Missbrauchsvorwürfen bei den Regensburger Domspatzen meldete sich der langjährige musikalische Leiter des Knabenchors, Georg Ratzinger, zu Wort. Der 86-jährige Bruder des Papstes sagte La Repubblica am Sonntag, er habe in seiner Dienstzeit ab 1964 nichts von Missbrauchsfällen bemerkt. "Die Fälle, von denen man bezüglich der Domspatzen spricht, beziehen sich auf die 50er-Jahre." Er bemerke allerdings "eine gewisse Feindseligkeit der Kirche gegenüber", führte er aus.

In der aktuellen Ausgabe des Spiegel behaupten Betroffene anderes. Der Regisseur und Komponist Franz Wittenbrink, der bis 1967 im Internat der Domspatzen lebte, schilderte dem Magazin von einem "ausgeklügelten System sadistischer Strafen, verbunden mit sexueller Lust", das dort bestand. Der Internatsdirektor Z. habe sich "abends im Schlafsaal zwei, drei von uns Jungs ausgesucht, die er in seine Wohnung mitnahm". Dort habe es Rotwein gegeben, und der Priester habe mit den Minderjährigen masturbiert. "Jeder wusste es."

Der Druck auf Papst Benedikt XVI. wächst: Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" fordert eine Stellungnahme. "Denn Joseph Ratzingers Amtszeit als Münchner Erzbischof von 1977 bis 1982 gehört genau zu den Jahren, um die es bei den Missbrauchsfällen geht", sagte der Sprecher der Initiative. Offiziell hat sich das Oberhaupt der katholischen Kirche noch nicht geäußert. (red/DER STANDARD, Printausgabe, 8.3.2010)