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Zwei, die auszogen, das System zu ändern: Jobbik-Chef Gábor Vona (o.) macht Viktor Orbán zunehmend zu schaffen.

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In Ungarn liegt wieder einmal eine Revolution in der Luft. Vielleicht aber auch nicht. Nach den Parlamentswahlen, deren erster Durchgang in einem Monat, am 11. April, stattfindet, soll alles anders werden. Das verspricht Viktor Orbán, Ex-Premier, Chef der rechtsnationalen Partei Fidesz und so gut wie sicher künftiger Regierungschef.

Wie genau dieser "Systemwechsel" aussehen soll, sagt Orbán nicht. Seine Geringschätzung für das parlamentarische System ist freilich bekannt. Die sozialliberale Regierung des früheren Premiers Ferenc Gyurcsány versuchte er mit wochenlangen Aufmärschen vor dem Parlament zu stürzen. Mit einem Referendum erzwang er die Rücknahme von Gebührenerhöhungen im Gesundheitssystem und trug damit zur Explosion des Budgetdefizits bei, die Ungarn an den Rand des Staatsbankrotts brachte.

Jetzt sagte István Stumpf, ein enger Vertrauter Orbáns, im Gespräch mit österreichischen Journalisten, die Verantwortlichen für acht Jahre sozialistischer Regierung müssten "zur Rechenschaft" gezogen werden. Stumpf war in der Regierung Orbán 1998-2002 Minister im Amt des Premiers, "in einer sehr starken Position" . Über das Wie dieser Abrechnung hält er sich bedeckt.

"Man kann Angst haben. Ich persönlich habe keine Angst" , sagt Vilmos Szabó, Staatssekretär im Budapester Außenministerium, Abgeordneter der noch regierenden Sozialisten (MSZP) und Direktkandidat bei den kommenden Wahlen im ersten Bezirk des Stadtteils Buda. Die Fidesz-Rhetorik - "Den anderen vernichten" - sei nicht neu. Er sei schon neugierig auf Orbáns Wende: "Vielleicht will er ein Einparteien-System? Das hatten wir schon." Als EU-Mitglied habe Ungarn jedenfalls die demokratischen Grundrechte zu garantieren. Sollte Orbán mit einer (möglichen) parlamentarischen Zweidrittel-Mehrheit im Rücken wirklich ein neues System aufbauen wollen, "dann wird es zu einer schweren Krise kommen" .

Ob von Wahlkampftaktik oder einer längerfristigen Strategie bestimmt, Orbáns Wende-Rhetorik ist höchst riskant. Das zeigen neueste Umfragen wie jene des Magazins hvg. Demnach ist die rechtsextreme Partei Jobbik ("Die Besseren" ) mit 15 Prozent der MSZP (18 Prozent) bereits sehr nahe gekommen. In der Nordost-Region Észak-Magyarország, wo die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist, liegt Jobbik mit 19 Prozent bereits auf Platz zwei. Fidesz kann landesweit auf 63 Prozent Zustimmung zählen, allerdings mit leicht fallender Tendenz. Jobbik hingegen hat gegenüber der letzten Umfrage um fast 50 Prozent zugelegt.

Orbán scheint damit Gefangener seines eigenen Kurses zu werden. Verspricht er weiter eine radikale Wende, dann könnte er damit gemäßigte Wähler abschrecken, auch angesichts der wirtschaftlichen Stabilisierung unter dem gegenwärtigen parteilosen Premier Gordon Bajnai. Fidesz-Vertreter haben freilich bereits in einem Treffen mit einer Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Budapest den künftigen budgetären Spielrahmen ausgelotet.

Jene aber, die wirklich eine Wende wollen, hin zu einem autoritären System wie etwa in Russland, gehen lieber zum Schmied als zum Schmiedl. Also zu Jobbik-Chef Gábor Vona. Der wirft Orbán vor, trotz seiner Rhetorik zum Establishment zu gehören und insgeheim schon eine Koalition mit den Sozialisten zu basteln. In der Skala der 25 beliebtesten Politiker liegt Vona immerhin an 10. Stelle, Tendenz steigend.

Er fürchte, dass Jobbik starken Zulauf aus der Erwartung heraus bekomme, dass Fidesz letztlich das Gleiche machen werde wie die Sozialisten, meint Almos Kovács, Staatssekretär im Finanzministerium. Woher dieser Zulauf vor allem kommt, erläutert Sándor Gallai, Wirtschaftsdozent an der Budapester Corvinus-Universität: Unter-40-Jährige, auch Studenten und Akademiker, mit wenig Sympathie für die Demokratie und - nur scheinbar paradox - Nostalgie für das kommunistische System, in dem es mehr soziale Gleichheit gegeben habe.

Inzwischen hat Orbán die Gefahr von rechts außen erkannt. Er erhöht den Einsatz und stellt die Wähler vor die Alternative: "Kleiner Sieg - kleiner Wandel, großer Sieg - großer Wandel." Dabei müsste ihm ein deutlicher Jobbik-Erfolg gar nicht so ungelegen kommen. Dann könnte er sich den Ungarn als Kraft des Ausgleichs präsentieren, quasi zwischen rechten Desperados und linken Versagern. Wandlungsfähigkeit hat er in seiner politischen Karriere ja hinlänglich bewiesen. "Orbán als sozialer Konsolidierer? Das ist nicht unmöglich, das ist Teil des Spiels" , sagt sein Intimus Stumpf ganz unumwunden. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, Printausgabe 11.3.2010)