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Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Korneuburg - Der zweite Prozesstag im Landesgericht Korneuburg begann mit Einvernahmen der Kriminalisten vom Landespolizeikommando Oberösterreich, die im Fall die Ermittlungen geführt haben. Die Anklage legt einem Polizisten, der dem 14-jährigen Einbrecher in den Rücken geschossen hatte, fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen zur Last.

Die Ermittler der Sonderkommission (SoKo), die die Vorgänge bei der tödlichen Schießerei in dem Kremser Supermarkt in der Nacht auf den 5. August 2009 aufzuklären hatten, wurden bei ihren Untersuchungen behindert. Bei der Staatsanwaltschaft Korneuburg gab es tagelang keinen zuständigen Sachbearbeiter, mit dem sich die Kriminalisten absprechen hätten können. Das geht aus einem Aktenvermerk des SoKo-Leiters Oberst Wolfgang Palmetshofer hervor.

Polizisten wurden erst zwei Tage nach Schussabgabe einvernommen

Polizisten wurden erst zwei Tage nach der Schussabgabe das erste Mal einvernommen. Grund: Verteidiger Hans-Rainer Rienmüller machte geltend, die Polizisten wären aus psychischen Gründen nicht vernehmungsfähig. Im Gegensatz dazu wurde der von der Polizei angeschossene 16-jährige Roland T., der den erschossenen 14-Jährigen beim nächtlichen Einbruch begleitet hatte, bereits sechs Stunden nach dem Vorfall am Spitalsbett einvernommen. Dem 16-Jährigen wurden beide Oberschenkel durchschossen.

SoKo wollte Vernehmungsunfähigkeit der Beamten überprüfen lassen

Die SoKo wollte die behauptete Vernehmungsunfähigkeit der Beamten überprüfen lassen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, diese tagelang nicht zu befragen. Den Kriminalisten schwebte die Beiziehung eines psychiatrischen Sachverständigen vor. Eine solche hätte allerdings die Staatsanwaltschaft Korneuburg beantragen müssen, die auf Weisung der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien am 6. August von der Kremser Anklagebehörde den Fall übernommen hatte.

Kein Ansprechpartner für Kriminalisten

Tagelang gab es für die Kriminalisten jedoch keinen Ansprechpartner bei der Staatsanwaltschaft. Die Ermittler überlegten sogar, ob für den unter Tatverdacht stehenden Polizisten nicht die U-Haft angebracht wäre, konnten das aber mit keinem Staatsanwalt besprechen. Erst am 10. August um 9.24 Uhr stand endlich fest, wer bei der Korneuburger Anklagebehörde für den brisanten, in der Öffentlichkeit breit diskutierten Fall zuständig war.

Richter: "Ziemlich grobe Kritik"

Der Richter bezeichnete den Inhalt des Aktenvermerks als "ziemlich grobe Kritik". Oberst Palmetshofer rückte im Zeugenstand jedoch keinen Zentimeter davon ab: "Das ist eine Fakteneinschätzung." Palmetshofer versuchte seinen Angaben zufolge, über die OStA einen Ausweg aus der unbefriedigenden Situation zu finden, "weil etwas passieren muss". Vom Portier habe er eine Handynummer eines Journalrichters bekommen: "Ich wurde nie zurückgerufen."

Beamter: "Wirkte net wie a g'stand'ner Polizist"

Auf den Kriminalisten vom Landespolizeikommando Oberösterreich, der am Abend des 7. August 2009 die Einvernahme mit dem 43-Jährigen durchführte, wirkte dieser "net wie a g'stand'ner Polizist": "Er war für mich ziemlich geschockt. Er war zum Teil sehr abwesend, zaghaft in seinen Angaben. Er war nicht ganz bei der Sache." Zum tödlichen Schuss habe der 43-Jährige erst bei der Tatrekonstruktion Ende August Stellung bezogen, bei der er einen "total unsicheren Eindruck" hinterließ.Psychologe attestierte Beamtem volle Aussagefähigkeit 

Psychologe beleuchtet Aussagen des Polizisten

Der Sachverständige Psychologe Roland Bugram wurde befragt, um die unterschiedlichen Angaben zu beleuchten, die der Polizist  im Lauf des Strafverfahrens ausgesagt hat. Das Gericht wollte abklären, ob beim Angeklagten sogenannte Post-Shooting-Symptome vorliegen könnten. Der Psychologe Roland Bugram bescheinigte dem angeklagten Polizisten "volle Aussagetüchtigkeit". Dem Beamten habe eine "leicht- bis mittelgradige akute Belastungsreaktion" zu schaffen gemacht. Doch habe sich diese auf maximal 72 Stunden nach der tödlichen Schussabgabe beschränkt. "Mit Sicherheit reicht das nicht aus, um die Wahrnehmungsfähigkeit und Aussagetüchtigkeit beeinflussen zu können", so Bugram.

Laut Bugram hat der Polizist zweifellos eine Ausnahmesituation erlebt, als er sich mit vermummten Einbrechern konfrontiert sah und sich zur Schussabgabe entschloss. Den Beamten zeichnen aber "hervorragende, hochqualititative Bewältigungsstrategien" aus, so der Sachverständige. Der Polizist sei persönlich belastbar und in der Lage, Wut und Aggression hintanzuhalten. Er habe "zwei bis drei Tage" nach dem tödlichen Schuss an "Symptomen des Einsatzes gelitten". Anpassungsstörung oder gar eine posttraumatische Belastungsstörung lagen aber auf keinen Fall vor: "Da gibt es keine Hinweise. Er war ja relativ rasch wieder dienstfähig."

Angeklagter will sich vermutlich an gewisse Dinge nicht erinnern

Auf die Frage, ob sich der Polizist an gewisse Details, etwa den Abstand zum erschossenen 14-Jährigen im Zeitpunkt der Schussabgabe, nicht mehr erinnern kann oder will, erklärte der Psychologe Bugram, dass beim Angeklagten Erinnerung vorliege. "Allerdings möchte der Angeklagte diese Erinnerung nicht abrufen oder wahrhaben". Bei unterschiedlichen Erinnerungen besteht dem Gutachter zufolge "die Möglichkeit, dass manche lügen und sich das eigene Versagen nicht eingestehen wollen".

ai-Generalsektretär kritisiert Staatsanwältin

ai-Generalsektretär Patzelt, der den Prozess von Beginn an als Zuhörer verfolgt, bezeichnete das als "menschenrechtspolitischen Skandal". Er übte darüber hinaus scharfe Kritik an der konkreten Anklagevertreterin, Staatsanwältin Magdalena Eichinger: "Ich sehe nicht, wie die Staatsanwältin versucht, in ernsthafter Weise ihre Anklage durchzubringen. Die Staatsanwältin stellt in diesem Verfahren in diese Richtung überhaupt keine aktiv kritischen Fragen." Das sei "unerträglich", zumal die auf fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen lautende Anklage "am untersten Minimum der Tatereignisse" angesiedelt sei.

Dass die Beamtin, die den 17-jährigen Begleiter des ums Leben gebrachten 14-Jährigen angeschossen hatte, überhaupt nicht belangt wurde - ihr Verfahren wurde eingestellt, weil ihr die Anklagebehörde Notwehr zubilligte -, ist für Patzelt nicht nachvollziehbar: "Das bisherige Verfahren hat keinen Hinweis erbracht, dass sich die Beamtin bei ihrer Schussabgabe in einer Notwehrsituation befunden hat."

Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt. Das Urteil soll am späten Nachmittag ergehen.(APA)