
Ein Gutachter fand dann keine Hinweise auf Erinnerungslücken.
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Korneuburg - "Es war nicht ganz einfach, ihn zur Vernehmung zu bringen" , berichtet ein Mitglied der Sonderkommission am Donnerstag im Landesgericht Korneuburg. Am zweiten Tag des Prozesses gegen jenen Kremser Polizisten, der im August 2009 im Supermarkt einen jugendlichen Einbrecher erschossen hat, widmet sich Richter Manfred Hohenecker ausführlich der Frage, warum es damals zwei Tage lang gedauert hat, bis der Beamte zum Tathergang einvernommen werden konnte.
Und wie sich zeigt, war es an der Sonderkommission, die aus Oberösterreich angereist war, nicht gelegen. Ganz im Gegenteil: Die Beamten mussten sogar massiven Druck ausüben, bis sie endlich den Schützen befragen konnten.
Die Begründung, mit der die Befragung verwehrt wurde: Die beiden Polizisten seien "aus psychologischen Gründen nicht in der Lage, an der Vernehmung teilzunehmen" . Ob dies auch von einem Amtsarzt bestätigt worden sei, hakt Richter Hohenecker nach. "Dafür hätte ich ein Sachverständigengutachten über einen Staatsanwalt beantragen müssen" , erläutert Oberst Wolfgang Palmetshofer, der die Sonderkommission geleitet hatte.
Allein: "Im Zeitraum vom 6. bis zum 10. August war kein Staatsanwalt für diesen Fall zuständig" , hielt Palmetshofer sogar in einem Aktenvermerk fest. "Eine ziemlich harte Kritik" , sagt Richter Hohenecker. "Eine Faktenschilderung" , sagt der Oberst.
Palmetshofer drängte auch den Verteidiger der Polizisten, "dass es ganz schlecht ist, wenn sie nicht aussagen" . Die Antwort lautete wieder: Es gehe nicht. Zuletzt hatte der Leiter der Sonderkommission sogar überlegt, zum äußersten Mittel zu greifen und den Polizisten in U-Haft zu nehmen. Doch auch dafür hätte er einen zuständigen Staatsanwalt benötigt. "Ich habe mir sogar die Handynummer des Journaldienstes der Oberstaatsanwaltschaft besorgt. Aber der hat nicht abgehoben. Ich habe um Rückruf gebeten - ich bin bis heute nie angerufen worden" , berichtet der Oberst.
Als dann die beiden Polizisten endlich aussagten, verliefen die Einvernahmen exakt gleich: Sowohl der Schütze als auch seine Kollegin schilderten, was sich aus ihrer Sicht im Supermarkt abgespielt hatte - bis sie zum Moment des Schusswaffengebrauches kamen. Da sprachen beide von Erinnerungslücken, Filmriss - weitere Aussagen würden sie erst bei der Tatortrekonstruktion machen.
Die Schilderungen des Polizisten bei diesem späteren Lokalaugenschein deckten sich allerdings nicht mit den Ergebnissen der Spurensicherung. So zeigte sich etwa, dass der Polizist nicht, wie dargestellt, im Knien, sondern im Stehen gefeuert hatte. Der Beschuldigte änderte später zum Teil seine Aussagen - und sprach weiter von Erinnerungslücken.
Dem widerspricht am Donnerstag allerdings der Sachverständige Roland Bugram in seinem psychologischen Gutachten: Er habe beim Beamten eine "leichte bis mittelgradige akute Belastungssituation" feststellen können - aber der Angeklagte habe "hervorragende Bewältigungsstrategien" . Und für eine posttraumatische Belastungsstörung "fehlen überhaupt jegliche Hinweise" .
Voll "aussagetüchtig"
Kurz: Es gebe "bis heute keine Hinweise, die Wahrnehmungsverzerrungen oder eine verminderte Aussagetüchtigkeit erklären könnten" , betont Bugram. Die Opferanwältin Eva Plaz will dann noch wissen: "Wenn der Beschuldigte falsche Angaben macht und keine Störungen feststellbar sind - was bleibt dann noch übrig?" Für Bugram gibt es nur zwei Möglichkeiten: "Entweder lügen oder sich das eigene Versagen nicht eingestehen wollen."
Und dann noch die Frage, wie Menschen in einer Stresssituation wie im Supermarkt reagieren. Grundsätzlich gebe es die Möglichkeit, auf Kampf-, Flucht- oder Einfrier-Modus zu schalten. "Im Falle des Angeklagten gehe ich von der Aktivierung des Kampfsystems aus" , sagt der Gutachter.
Richter Hohenecker bittet denAngeklagten dann, sich noch einmal den Strafantrag der Staatsanwaltschaft genau durchzulesen, denn der basiere im Grunde auf dessen Aussagen: Dass der Polizist zumindest "irrtümlich" von einer Angriffsituation ausgegangen sei, dass er "übersehen" habe, wie sich der Einbrecher abgewandt habe - und das er deshalb "das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten" habe.
Das Urteil wird für heute, Freitag, erwartet. Ein Geständnis wäre ein wesentlicher Milderungsgrund. (Roman David-Freihsl, DER STANDARD - Printausgabe, 12. März 2010)