Mohsen Sazegara in einem seiner Videoclips, die er im Keller seines Hauses in Virginia aufnimmt.

 

 

 

 

 

 

Foto: Youtube

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Islamischen Revolutionsgarden: "Wir hatten große Angst vor einem Angriff der USA, weil diese ja Unterstützer des Schahs waren."

 

 

Foto: AP

Bild nicht mehr verfügbar.

Unter dem wachsamen Auge von Revolutionsführer Khomeini brennen die israelische und die US-amerikanische Flagge.

 

 

Foto: EPA/Abedin Taherkenareh

Bild nicht mehr verfügbar.

"Nur eine Marionette": Irans Präsident Mahmud Ahmadi-Nejad.

 

 

Foto: EPA

Bild nicht mehr verfügbar.

"Herr Moussavi ist der gewählte Präsident des Iran."

Foto: EPA

Der kleine Mann mit Brille und Bäuchlein kennt sich aus mit Revolutionen. Mohsen Sazegara, 55, zählte vor dreißig Jahren zu den treuesten Gefährten von Ayatollah Ruhollah Khomeini, er begleitete den Revolutionsführer von dessen Pariser Exil aus nach Teheran. Schon während seiner Studienzeit in Chicago plante er die Gründung der Islamischen Revolutionsgarden, die von den USA seit 2007 als Terrororganisation betrachtet werden. Nach der Revolution diente er dem neuen System unter anderem als Vize-Premier. Bald kamen ihm Zweifel, zwei Mal saß er im Gefängnis, bis er den Iran 2003 verließ. Heute lebt Sazegara im Washingtoner Vorort Vienna und hat sich im Keller seines Hauses ein kleines Fernsehstudio eingerichtet. Von dort aus treibt er in seinen täglichen YouTube-Clips das so genannte Green Movement in der alten Heimat voran. Im Interview mit derStandard.at erklärt Sazegara, wie er das islamische Regime stürzen will und warum Sanktionen zwar hilfreich, ein Militärschlag aber kontraproduktiv wäre.

***

derStandard.at: Wie lange hat es gebraucht, bis Sie merkten, dass Sie bloß eine Diktatur durch eine andere abgelöst haben?

Sazegara: Zum ersten Mal ging mir das 1982 oder 1983 durch den Kopf, als ich Vize-Premierminister für politische Angelegenheiten war. In dieser Phase haben wir versucht, die Rechte der linken und nationalistischen Oppositionsgruppen anzuerkennen. Das hätte geholfen, eine Art Zivilgesellschaft im Iran aufzubauen, die nach der Revolution für Demokratisierung sorgen sollte. Das haben wir nicht geschafft, vor allem der Teheraner Revolutionsgerichtshof hat das verhindert. So bin ich dann ins Industrieministerium gewechselt und war für 132 Unternehmen zuständig. Da habe ich gemerkt, dass das System des Iran nicht einmal in geschäftlichen Dingen funktioniert.

derStandard.at: Was haben Sie daraus geschlossen?

Sazegara: Vier oder fünf Jahre lang habe ich dann noch einmal alles gelesen, was es über die Islamische Republik zu lesen gab. Nach dem Krieg gegen den Irak und dem Tod von Ayatollah Khomeini hat es mir dann gereicht, genug war genug. Ich habe dann begonnen, Zeitschriften und Zeitungen herauszugeben und bin immer mehr in Opposition zum Regime gegangen. Wissen Sie, man kann sich lange einreden, dass man ein System von innen verändern kann, ab 1988 war ich mir dann sicher, dass die wichtigsten Probleme des Iran kein Zufall waren, sondern die Essenz der Islamischen Republik. Seither bin ich zwei Mal im Gefängnis gesessen.

derStandard.at: Sie haben in den Siebzigern in den USA studiert und waren Teil der exiliranischen Opposition gegen das Schah-Regime. Wie beurteilen Sie im Vergleich den Einfluss der Auslandsiraner auf den Widerstand gegen die Mullah-Diktatur?

Sazegara: Damals waren vor allem die Studentenorganisationen im Ausland aktiv, es gab ja tausende Iraner, die in den USA oder in europäischen Staaten studierten. Zum Beispiel die Confederation of Iranian Students oder die Muslim Student Organisation, wo ich dabei war. Deshalb war ein Großteil der Proteste gegen den Schah von Studenten organisiert und getragen. Heute sind es natürlich wieder vor allem die jungen Leute, die gegen die Diktatur protestieren. Es gibt zwar längst nicht mehr so viele iranische Studenten in westlichen Ländern, dafür sprechen wir heute von einer zweiten Generation junger iranischer Oppositioneller im Ausland: die Kinder der drei Millionen Menschen, die den Iran während der vergangenen dreißig Jahre verlassen haben. Und durch die neuen Medien haben sie ganz neue Möglichkeiten der Kommunikation und der Vernetzung.

derStandard.at: Wie wichtig ist Mir-Hossein Moussavi heute für die Widerstandsbewegung?

Sazegara: Herr Moussavi ist der gewählte Präsident des Iran. Er hat oft genug gesagt, dass er nicht der Anführer der Grünen Bewegung ist, nur das Gesicht. Der Spruch, wonach jeder Soldat ein Führer und jeder Führer ein Soldat sei, hat in diesem Sinne seine Berechtigung. Es ist eine sehr dezentralisierte Bewegung, lose verknüpft und über Internet-Kommunikation zusammengehalten. Aber trotzdem ist Moussavi der rechtmäßige Präsident des Landes, der durch einen Staatsstreich gegen den Willen des Volkes verhindert worden ist. Das erste Ziel der Opposition ist deshalb, dem Volk seine Stimme zurückzugeben und Herrn Moussavi zum Präsidenten des Iran zu machen. Danach wollen wir freie Wahlen abhalten, so wie es Moussavi und Karroubi (anderer prominenter Oppositioneller, Anm.) angekündigt haben.

derStandard.at: Diese Wahl würde doch an der Rolle des geistlichen und weltlichen Führers nichts ändern.

Sazegara: Wenn zu der Wahl auch Kandidaten zugelassen werden, die eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung befürworten, dann vielleicht schon. Denn wenn er oder sie gewinnt, dann muss das Volk darüber entscheiden, ob es einen echten Systemwandel gibt oder ob es weiter einen Führer geben soll, der alle Macht in Händen hält. Aber schon sind die Proteste eigentlich gegen Khamenei gerichtet, weil er den Staatsstreich und somit Ahmadi-Nejad stark unterstützt hat. "Tod dem Diktator" meint vor allem Khamenei. Ich glaube, dass die Proteste Ahmadi-Nejad und Khamenei gleichzeitig stürzen werden.

derStandard.at: Heißt das, Sie wollen das System als Ganzes abschaffen oder gibt es so etwas wie eine Islamische Republik mit "menschlichem Antlitz"?

Sazegara: Ich persönlich glaube, dass wir die Islamische Republik insgesamt loswerden sollten. Aber das hängt am Ende vom Willen des Volkes ab. Wir haben uns darauf geeinigt, die Probleme durch Wahlen zu lösen, nicht durch Gewalt.

derStandard.at: Warum haben Sie die Revolutionsgarden gegründet?

Sazegara: Ich habe die Charta der Revolutionsgarden geschrieben und war einer ihrer Gründer, ja. Aber zwei Monate nach der Revolution habe ich die IRGC verlassen und wurde Chef des Iranischen Radios. Und die Idee hinter den Revolutionsgarden war eine andere als das, was sie heute sind. Wir wollten eine Volksarmee aufbauen, eine Miliz, die das Land gegen Angriffe von außen schützt. Wir hatten große Angst vor einem Angriff der USA, weil diese ja Unterstützer des Schahs waren.

derStandard.at: Empfinden Sie irgendeine Art von Schuld oder Reue, wenn Sie die Aktivitäten der Truppe heute betrachten, etwa den Terror gegen Oppositionelle?

Sazegara: Überhaupt nicht. Niemand konnte das vorhersehen. Es ging uns damals vor allem um Mobilisierung gegen einen Angriff von außen. Eigentlich hatten wir nur eine 500 bis 1000 Mann starke Truppe geplant, mit ein paar tausend Freiwilligen, die im Kriegsfall 20 Millionen Menschen aktivieren kann. Durch eine Reihe von Fehlern, vor allem von Ayatollah Ali Khamenei (seit 1989 der Oberste Führer des Iran, Anm.) wurden die Revolutionsgarden diese Art Armee, die sie heute ist. Es ist ein wenig wie mit einem Kind. Man wünscht sich natürlich, dass es ein braver Bürger wird, aber wenn es durch Fehler und das Schicksal später zu einem Mörder wird, bereut man ja trotzdem nicht, das Kind in die Welt gesetzt zu haben. Khamenei hat die Revolutionsgarden in die Politik gebracht, um den Reformern entgegenzutreten. Ayatollah Ruhollah Khomeini (Gründer der Islamischen Republik und Vorgänger Khameneis, Anm.) hat sich mehrmals strikt gegen eine Einbindung der bewaffneten Kräfte in die Politik des Iran ausgesprochen. Jetzt sind sie von dort nur mehr sehr schwer wegzubekommen.

derStandard.at: Im Westen werden vielfach Wirtschaftssanktionen gefordert, die auf die Revolutionsgarden abzielen. Kann man damit den Iran von der Entwicklung von Nuklearwaffen abbringen?

Sazegara: Ich stimme allem zu, was Druck auf die Revolutionsgarden ausübt. Nicht unbedingt wegen des Atomprogramms, da habe ich das Gefühl, dass das Regime mit dieser Option spielt, wie es ihm gerade nützt. Mir geht es um Demokratie im Iran. Da wird es irgendwann zu einem Kampf zwischen der iranischen Nation und den Revolutionsgarden kommen. Deshalb sind alle Sanktionen wichtig, die den Gegnern des Volkes die Geldquellen abschnüren. Diese Leute investieren die Gewinne aus ihren Unternehmen in die Unterdrückung und die Niederschlagung der Proteste in den Straßen. Und zweitens wären harte Sanktionen gegen die Revolutionsgarden auch ein psychologisches Signal an die Opposition, dass sie in ihrem Kampf nicht alleine ist.

derStandard.at: Gibt es in den Reihen der IRGC auch divergierende Meinungen?

Sazegara: Da muss man schon sehen, dass mindestens 80 Prozent der Revolutionsgardisten ganz normale Menschen sind, wie es sie überall im Iran und der Welt gibt. Diese Leute können mit der Brutalität gegenüber dem Volk nichts anfangen. Sie haben Angst um ihren guten Ruf, den sie bisher in ihren Familien und Wohnbezirken genossen haben, und der jetzt in Gefahr ist, weil viele Iraner die Revolutionsgarden zunehmend als Mörder und Feinde der Nation betrachten. Auch in den höheren Rängen gibt es Leute, speziell die Helden des Golfkriegs, hoch dekorierte Generäle, die mit der neuen Rolle der Revolutionsgarden nicht einverstanden sind. Die Schlüsselpositionen sind aber alle mit korrumpierten Generälen besetzt, die dem Obersten Führer nahe stehen und ihm und seinem Sohn die Hände küssen.

derStandard.at: Ahmadi-Nejad ist also nur eine Marionette?

Sazegara: Ja, absolut. Khamenei und die Revolutionsgarden haben ihn vor fünf Jahren großgemacht und jetzt durch den Staatsstreich an der Macht gehalten. Sie können auch gar nicht anders, Ahmadi-Nejad garantiert ihnen, dass sie weiter die Einnahmen aus den Schlüsselunternehmen des Iran einstreifen können, vor allem der Ölindustrie. Jemand wie Moussavi würde als Präsident sehr schnell die korrupten Geschäfte der Revolutionsgarden aufdecken.

derStandard.at: Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, dass sich die Streitkräfte gegen die Mullah-Diktatur erheben?

Sazegara: Ich finde diese Methode überhaupt nicht gut, denn niemand weiß was nach einem Militärputsch kommt, ob die Generäle, nachdem sie die Macht errungen haben, diese wieder an das Volk abgeben werden. Wir bevorzugen gewaltfreie Strategien, die das Regime lähmen und schlussendlich stürzen sollen. In der Realität könnte ein Militärputsch natürlich passieren, wie es auch in anderen Ländern so war. Manchmal von rechts, manchmal von links.

derStandard.at: Unterstützen Sie eine Militärintervention von außen gegen das Regime, etwa in Form eines Luftschlags gegen die iranischen Atomanlagen?

Sazegara: Nein, absolut nicht! Das wäre das allerschlimmste, was passieren kann. So etwas wäre ein Geschenk an die Generäle der Revolutionsgarden. Ich sage nicht, dass ein Angriff von außen das Regime retten würde, aber er würde dessen Abstieg auf jeden Fall für eine ganze Weile verzögern. Wir haben mehrere Male an die internationale Gemeinschaft und die Vereinigten Staaten appelliert, jede internationale Militäraktion gegen den Iran zu verhindern, vor allem eine israelische. Das wäre ein Horrorszenario. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 15.3.2010)