Nach der Milliarden-Stütze des Finanzsystems durch den Staat sei Sparen angesagt, um die Staatsschulden zurückzuführen. Wenn es nur um die Staatsschulden ginge, wäre Sparen wohl die richtige Maßnahme. Doch es geht um weit mehr: um die Sicherung und - im guten Fall - die Verbesserung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen. Da die Staatsbürger und auch die Betriebe als Einzelne in dieser Hinsicht ziemlich ohnmächtig sind - alle paar Jahre ein Wahllokal besuchen zu dürfen, bedeutet ja nicht wirklich, Macht zu haben -, fällt die Aufgabe dem Staat zu. Aktuell entsteht in dieser Konstellation ein Spannungsverhältnis zwischen Staatsaufgaben und Staatssparen. Dieses Spannungsverhältnis sollte Anlass geben zur Überprüfung der Treffsicherheit staatlicher Maßnahmen und Einrichtungen. Doch, da ist noch mehr zu berücksichtigen - vor allem anderen das Verhältnis von Wirtschaftsleistung und Geld.

Allein die materiellen Wirtschaftsleistungen - also die laufenden Ergebnisse der Arbeitsprozesse (diese werden meist falsch pauschal mit "Arbeitsmarkt" bezeichnet) in Form von verfügbaren realen Gütern und Diensten - sichern bzw. verbessern die Lebensbedingungen. Als Mittel zur Steuerung der Arbeitsprozesse und der Leistungsverteilung dient in Geldgesellschaften das generelle Medium "Geld". Wird Geld gespart, bedeutet das nicht nur eine Reduzierung des Steuerungsmittels. Sparen heißt in Gesellschaften, die ihre Leistungen als Waren über Geld tauschen, gleichzeitig eine Reduzierung der Möglichkeit des Leistungstausches, sofern das gesparte Geld von anderer Seite nicht wieder zum Ausgleich verwendet wird. Spart der Staat, spart er letztlich an Gehältern, was durch die Streichung von Arbeitsplätzen erfolgt. Sparen in gleicher Weise auch die Unternehmen, steigt die Quote der Erwerbslosigkeit weiter. Ohne Ausgleichszahlungen ist die Folge eine geringere Kaufkraft nicht nur der Erwerbslosen, also Nachfragerückgang an Märkten.

Nachfrageausfall bedrängt jene Betriebe, die auf Nachfrage ihres Leistungsangebot angewiesen sind, was wiederum Anlass zu Einsparungen gibt. Doch im Unterschied zu Einsparungen im staatlichen Bereich führen im Bereich der Privatwirtschaft Einsparungen nicht nur zu Entlassungen, sondern überdies zu Rationalisierungen und Zusammenbrüchen. Firmenzusammenbrüche verursachen Leid und Not für viele, bedeuten allerdings gleichzeitig Wandel - Wandel zur Verbesserung oder zur Verschlechterung gesellschaftlicher Lebensbedingungen.

Weil der Staat über die Macht der Steuerung des Geschehens durch Gesetze, Verordnungen, Gebühren und eben Steuern, aber auch durch Transferzahlungen und der Gleichem verfügen kann, bestimmt er - bewusst oder unbewusst - die Richtung des Wandels. Wie diese Macht wahrgenommen wird, hängt von der Kompetenz der Regierenden und nicht zuletzt von ihrem Geldverständnis ab. Verstehen sie Geld als etwas, das "von irgendwo herkommen muss", also als eine absolute Größe, der sogar Aktivität zugeschrieben wird - "Geld regiert die Welt" oder "Geld arbeitet" -, ist das Ausdruck von besonderer Inkompetenz. Inkompetent ist in diesem Fall, wer nicht versteht, dass Geld nur Wert hat, wenn es gleichbedeutend mit Kaufkraft ist. Und das ist nur dann der Fall, wenn Waren - also Güter und Dienste - angeboten werden. Diese Waren entstehen durch Produktionsmittel, von denen das wichtigste die qualifizierte menschliche Arbeitskraft ist.

Seit Jahrhunderten haben Menschen unter Einsatz ihrer Qualifikation mit steigendem Erfolg die Effizienz ihres Arbeitseinsatzes auch durch angewandte Technologie erhöhen können, so dass immer häufiger Waren ohne direkte menschliche Anstrengung durch programmierte Maschinen, also Automaten, entstehen.

Auch Maschinen sind Waren, die in der Privatwirtschaft als Investitionsgüter zur Rationalisierung - das heißt, vor allem zur Einsparung von Löhnen und Gehältern - gekauft werden. Im Erfolgsfall ist der gewünschte Effekt höhere Produktivität pro zu bezahlender Arbeitsstunde. Offensichtlich ist, dass sich dadurch das Verhältnis von Warenangebot und Nachfragemöglichkeit verändert, sofern nicht auch die Nachfrage gewissermaßen "effizienter" wird. Voraussetzung der Nachfrage ist zweierlei: Bedarf und Geldverfügbarkeit.

Es besteht aktuell nach Finanz- und Wirtschaftskrise kaum noch ein Zweifel daran, dass Bedarf und Geldverfügbarkeit in der Gesellschaft deutlich unausgeglichen sind. Man sagt, dass ein Prozent der Bevölkerung 90 Prozent beziehungsweise zehn Prozent schon 99 Prozent des Geldvermögens besitzen; umgekehrt 90 Prozent mit einem Prozent des Geldvermögens auskommen müssten. Das trifft sicherlich so nicht zu, weil auch in diesem Fall Geld zu undifferenziert gesehen wird. Beispielsweise wird hier nicht zwischen Geld als Tauschmittel für Waren auf Märkten und Geld als Ware, die an Börsen gehandelt wird, unterschieden; beides bildet "Finanzvermögen". Richtig ist aber, dass Geldverfügbarkeit und Bedarf sehr ungleich gegeben sind. Das wird von Kirchen und anderen Sozialeinrichtungen moralisch kritisiert und es wird eine Neuverteilung, beispielsweise in Form von "Reichensteuer" oder von „Grundeinkommen", gefordert. Dagegen stehen andere auf und verteidigen die Millionengagen von Managern, in dem sie von "Leistungsträgern" und "Neidgesellschaft" reden, während sie hinsichtlich einer garantierten Mindestverfügbarkeit von Geld mit den Sprüchen von "sozialer Hängematte" und "anstrengungslosem Wohlstand" polemisieren. Doch das zeigt ebenso wie die moralische Kritik nichts anderes als jene kognitive Barriere, die durch Geldgläubigkeit, also durch "Moneyismus", entsteht.

Vielleicht wäre es sinnvoller, funktional zu argumentieren: Wenn gewollt wird, dass Geld im Interesse aller seinen Wert in Form von Kaufkraft behält, muss für stetige Nachfrage nach dem wachsenden Angebot von Waren gesorgt werden; ansonsten schwindet das Angebot, weil weitere Waren zu produzieren nichts verdienen lässt , wenn die produzierten Waren nicht verkauft werden können. Wenn nichts verdient wird, wird nicht weiter produziert. Ist dieser Fall gegeben, werden weder bisherige Arbeitskräfte noch andere Produktionsmittel gebraucht und der wirtschaftliche Zusammenbruch ist nahe. Angebot und Nachfrage sind folglich voneinander abhängig. Das heißt nichts anderes als die Aufgabe, bei stetig steigender Produktivität die Nachfrage zu stabilisieren. Es geht also nicht nur um temporäre Wirtschaftskrisen, für deren Milderung J.M. Keynes Vorschläge gemacht hatte; es geht auch um den Wandel im Arbeits- und Wirtschaftssystem, der sich durch ständige Produktivitätssteigerungen stetig fortsetzt und sich nach Wirtschaftskrisen durch noch produktivere Verfahren beschleunigt.

Nochmals - Nachfrage kommt nur zustande, wenn beides gegeben ist: Bedarf und Geldverfügbarkeit. Doch zurzeit haben viele Menschen - weltweit etwa eine Milliarde - dringenden Bedarf, aber nicht ausreichende Kaufkraft, während andere über weit mehr Geld verfügen als sie tatsächlich zur Stillung ihres Bedarfs brauchen. Wenn Interesse an Verhinderung oder Milderung der Folgen wirtschaftlicher Zusammenbrüche beziehungsweise an der Sicherung oder gar Verbesserung gesellschaftlicher Lebensbedingungen besteht, ist es funktional, Bedarf und Geldverfügbarkeit aufeinander abzustimmen. Die wirtschafts- und gesellschaftpolitischen Ziele der Stabilisierung zu erreichen ist durch einen Ausgleich des Geldvermögens, nicht durch krasse Unterschiede im Besitz von Sach- und Geldwerten zu erreichen.

Ein den jeweils gegebenen Umständen angepasstes Grundeinkommen für alle ist ein funktionaler Schritt in diese Richtung. Und überdies befreite diese Garantie die Menschen von Existenzängsten und Arbeitszwängen, was nicht nur die Lebensqualität wesentlich verbesserte, sondern auch die in den Menschen angelegte Produktivität sich entfalten ließe. Doch auch das nur unter Bedingungen einer vernünftigen Arbeitsorganisation, die zugleich soziale Einbindung und subjektive Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns ermöglicht. Die konsequente Einsicht müsste sein: Wirtschaftspolitik ist Arbeitspolitik ist Gesellschaftspolitik ist Lebenspolitik. (derStandard.at, 12.3.2010)