Die Diözese Graz-Seckau sowie der Vatikan stehen unter dringendem Verdacht, den weitreichenden Missbrauchsfall eines steirischen Pfarrers jahrelang vertuscht zu haben, berichtet die Wiener Wochenzeitung "Falter". In derselben Ausgabe erhebt ein ehemaliger Zögling des Stiftsgymnasiums Wilhering Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs.

Ein steirischer Pfarrer soll in den 1980er-Jahren mehr als ein Dutzend Kinder und Jugendliche missbraucht haben. Sechs Missbrauchsopfer und ein betroffenes Elternpaar erzählten der Wochenzeitung für ihre am Mittwoch erscheinende Ausgabe ihre Leidensgeschichte. Mehrere Jahre lang versuchten sie vergeblich, eine Entlassung des Pfarrers aus dem Dienst zu erreichen - gegen den Widerstand der Diözese Graz-Seckau. Als später selbst das Erzbischöfliche Metropolitan- und Diözesangericht in Salzburg den Pfarrer für schuldig befand, erfolgte direkt aus dem Vatikan Order, die Sache fallenzulassen.

Ermittlungen eingestellt

Der erste Missbrauch des steirischen Pfarrers soll auf das Jahr 1982 datieren. Obwohl der damalige Bischof Johann Weber Ende der Neunzigerjahre konkrete Vorwürfe auf dem Tisch hatte, versetzte er den Priester bloß und vertraute ihm neue Gemeinden an. Dies erklärt die Diözese damit, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt hatte.

Die Staatsanwaltschaft Graz nahm damals Ermittlungen gegen den Pfarrer wegen sexuellen Missbrauchs in zwei Fällen auf, stellte sie aber bald danach wegen Beweismangels und Verjährung ein. Wie der Falter berichtet, wurden damals außer den zwei mutmaßlichen Opfern nur drei aktuelle Ministranten von den Ermittlern befragt, obwohl der Pfarrer im Laufe seiner Amtszeit mindestens siebzig Ministranten gehabt hatte. Die Staatsanwaltschaft rechtfertigt sich gegenüber der Wochenzeitung mit "Fingerspitzengefühl: Wenn nichts dran ist, ist der Mann ruiniert."

Nach einem Jahr "Urlaub" überantwortete die Diözese dem Pfarrer weitere Gemeinden in der Südsteiermark. Drei Jahre nach den ersten Ermittlungen wurde die Staatsanwaltschaft abermals aktiv. Diesmal wurde der Pfarrer verdächtigt, mindestens 13 Burschen im Alter zwischen 5 und 18 Jahren wiederholt sexuell und schwer sexuell missbraucht zu haben. Das Verfahren wurde abermals eingestellt. "Rein aus Gründen der Verjährung", wie es aus der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Falter heißt: Sonst hätte man es "auf jeden Fall gemacht."

Pfarrer vom Dienst freigestellt

Weil Opfer weiter intervenierten, stellte der damals erst wenige Monate im Amt befindliche Bischof Egon Kapellari den Pfarrer vom Dienst frei. Unter Zustimmung der römischen Glaubenskongregation fand das erste Kirchengerichtsverfahren wegen Missbrauchs in Österreich statt. Es endete mit einem Schuldspruch für den Pfarrer. Die Glaubenskongregation, der aktuell auch der Wiener Kardinal Christoph Schönborn angehört, hob das Urteil allerdings im Jahr 2006 wegen Verjährung der Tatbestände auf.

Als die Kongregation das Verfahren bestellte, stand Kardinal Joseph Ratzinger an ihrer Spitze. Als Rom das Urteil aufhob, war er bereits Papst Benedikt XVI. Dass die Kirche einen Prozess führt, dessen Urteil sie hinterher wegen Verjährung aufhebt, ist laut dem Kirchenrechtler Wilhelm Rees höchst unüblich. Gerhard Holotik, jener Prälat des Erzbischöflichen Metropolitan- und Diözesangerichts in Salzburg, der das Gerichtsverfahren geleitet hatte, erklärte dem FALTER, Er habe sich wegen der Verjährung sehr wohl im Vorhinein abgesichert. "Wir haben die Sache ja von Rom zugewiesen bekommen. Sie können sich denken, wie wir empfinden, wenn unser Urteil plötzlich aufgehoben wird. Ich bin nicht glücklich über das Ganze."

Kein Kommentar

Altbischof Johann Weber und Bischof Egon Kapellari wollen sich zur Causa nicht persönlich äußern. Wie Kapellaris Sprecher erklärt, "wurde dem Pfarrer ein bleibender Aufenthaltsort in einem Kloster mit sichernden Auflagen zugewiesen". Noch nach dem Prozess im Jahr 2006 ließ der Pfarrer allerdings verlauten: "Als Aushelfer bin ich in den Pfarren begehrt." Ein Sprecher der Diözese kann nicht ausschließen, dass er "gelegentlich eine Messe feiert, da er ja als Priester nicht suspendiert ist". Das, obwohl Bischof Kapellari versprochen haben soll, ihn nicht mehr in die Nähe von Kindern kommen zu lassen.

Neue Vorwürfe aus Oberösterreich

Unterdessen erhebt ein ehemaliger Zögling des oberösterreichischen Stiftsgymnasiums Wilhering Vorwürfe des Missbrauchs, wie der Falter in derselben Ausgabe berichtet. Der heute 55-Jährige Mann wirft einem Pater sexuellen Missbrauch in den 1960er Jahren vor. Als die anderen Zöglinge bereits schliefen, habe er ihn mehrmals auf sein Zimmer geholt, um mit ihm über Sexualität zu sprechen. Dabei habe sich der Pater, der vor sechs Jahren verstorben ist, mehrmals selbst befriedigt und den Penis des damals 10-Jährigen gestreichelt, erzählt der ehemalige Zögling dem Falter. Ein anderer Pater soll den Internatsschüler regelmäßig geschlagen haben. Auch musste er nachts stundenlang vor Heizkörpern knien. Der betreffende Priester relativiert die Vorwürfe gegenüber dem Falter und spricht von einer "anderen Zeit". (red)