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Papst Benedikt kündigt für seinen morgigen Hirtenbrief "Buße, Heilung und Erneuerung" an. Kircheninterne Kritiker wie Bischof Robinson, die seit Jahren konsequente Strukturreformen und eine Abkehr von der "Symbolik der Macht" fordern, hören die Botschaft wohl ...
Was das mit dem Missbrauchsskandal zu tun hat? - Der Papst müsste es eigentlich wissen.
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Australien spielt in unserer Medienberichterstattung höchstens dann eine Rolle, wenn eine Feuersbrunst droht, Sydney in Schutt und Asche zu legen. Im Kontext der gegenwärtigen Debatte über sexuelle Gewalt in der römisch-katholischen Kirche erscheint ein Blick auf "down under" dennoch angebracht.
Ähnlich wie in den Vereinigten Staten wurde das Thema der sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen in Australien schon vor vielen Jahren innerkirchlich und öffentlich breit diskutiert, mit manch bemerkenswertem Ergebnis:
Geoffrey Robinson etwa, ein inzwischen emeritierter Weihbischof von Sydney, stellt in seinen Überlegungen zur Bewältigung des Missbrauchsskandals nicht nur das Pflichtzölibat in Frage, sondern kritisiert auch das kirchliche Sünden- und Vergebungsverständnis, plädiert für eine stärkere Partizipa-tion aller Gläubigen an kirchlichen Entscheidungen und fordert eine institutionell verankerte Rechenschaftspflicht von Papst, Bischöfen und Priestern gegenüber dem gesamten Volk Gottes.
Ein zentrales Prinzip katholischer Sozialethik ist die "vorrangige Option für die Armen". Es besagt, dass sich die Kirche zwar um das Wohl und das Heil aller Menschen sorgen soll, in erster Linie aber für die Benachteiligten und die Opfer einzutreten hat, für die Unterdrückten und die Missbrauchten. Dass diese "Option für Arme" von zahlreichen Bischöfen zu einer "Option für Pädophile" pervertiert wurde, wird heute auch von kirchenamtlicher Seite offen zugegeben und bedauert.
Die Perspektive der Opfer ist es, die auch für Bischof Geoffrey Robinson im Vordergrund steht. In seinem 2007 erschienenen Buch Confronting Power and Sex in the Catholic Church analysiert Robinson, der viele Jahre lang die Missbrauchs-Kommission der australischen Bischofskonferenz leitete, die Gründe für den Skandal und fordert adäquate kirchliche Maßnahmen, um zukünftigen Missbrauch zu verhindern. Wer das tut, muss nach Robinson den Mut aufbringen, bestimmte Lehren, Gesetze und Verhaltensweisen der Kirche zu hinterfragen.
Bischof Robinson weist auf den engen Zusammenhang von sexuellem Missbrauch und Machtmissbrauch hin: "Jeder sexuelle Missbrauch ist an erster Stelle ein Missbrauch von Macht." Sexuell gewalttätige katholische Priester missbrauchten ihre Macht als anerkannte spirituelle Autoritäten, denen junge Menschen oft rückhaltlos vertrauten. Um Vertuschung bemühte katholische Bischöfe missbrauchten ihre Macht, indem sie solche Priester wie Schachfiguren von einer Pfarre in eine andere verschoben.
Wie beurteilt Robinson die Zölibatsverpflichtung? Der Weihbischof glaubt nicht, dass das Zölibat katholischer Geistlicher die einzige Ursache für sexuellen Missbrauch sei, widerspricht aber auch jenen, die behaupten, er habe damit gar nichts zu tun. Päpstliche Erklärungen, dass das Zölibatsgesetz auf keinen Fall überprüft, in Frage gestellt oder geändert werden könne, begegnet er mit der pointierten Frage: "Wie viele missbrauchte Kinder ist uns der Zölibat wert?"
Robinson erwähnt, dass einige klerikale Kinderschänder allen Ernstes behaupteten, die Zölibatsverpflichtung nicht gebrochen zu haben, weil sich diese nur auf sexuelle Kontakte mit erwachsenen Frauen beziehe. Und er weist darauf hin, dass die traditionelle katholische Beicht- und Vergebungspraxis einen adäquaten Umgang mit sexuellem Missbrauch häufig verhindert habe: Sexuelle Gewalt wurde als Sünde und Beleidigung Gottes interpretiert, die immer wieder vergeben werden kann, nicht als Verbrechen an unschuldigen Kindern, das man verhindern muss.
Vor kurzem berichtete mir eine Kollegin, wie abgöttisch ihre Großmutter den singenden ost-steirischen Dorfpfarrer Franz Brei verehre. Omas Devotheit gegenüber dieser, seine volkstümliche Schlagermusik stets im Priester-talar vortragenden, üppigen Priestergestalt gehe so weit, dass sie sich die neue CD dieses "Gottesmannes" gekauft habe, obwohl sie gar kein CD-Gerät besitzt.
Nach Bischof Robinson ist die unkritische Überhöhung von Priestern und Bischöfen mitschuldig am gegenwärtigen Missbrauchsskandal. Robinson empfiehlt seinen Bischofskollegen deshalb, sich in ihrer Körper- und Symbolsprache von Insignien der Macht und Erhabenheit zu verabschieden: zunächst von ihren Mitren, dann aber auch von Hirten-stäben, Brustkreuzen und kostbaren Ringen. Robinsons Forderung kann als Konkretisierung dessen verstanden werden, was sich in theologisch-professoraler Sprache so anhört: "Als radikale Grenzaufhebung stellt das Christentum allen äußeren Unterschiede, auch die faktischen Unterscheidungsformen innerhalb der Kirche selbst, immer wieder in die Krise." (Joseph Ratzinger: Die christliche Brüderlichkeit. München 1960, S. 87)
(Kurt Remele, DER STANDARD - Printausgabe, 19. März 2010)