Was vom Web 2.0 übrig blieb (Comic Geek & Poke)

Foto: geekandpoke

Wikipedia statt Britannica Online, Blogs statt persönlicher Homepages, Flickr statt Ofoto - mit diesen und einigen anderen Beispielen versuchte Tim O'Reilly 2005 zu erklären, was er mit dem Begriff Web 2.0 meinte. Ursprünglich ein Marketing-Schlagwort für eine Konferenz, entwickelte sich der Terminus in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts rasch zu einem Hype-Schlagwort. Interaktive Web-Tools und User Generated Content machten sich allerorts im Web breit. Mittlerweile ist der Begriff Web 2.0 jedoch geradezu verpönt und wird - abgesehen von einigen Marketing- und PR-Agenturen - kaum mehr verwendet. "Social Media" hat die leidige Versionsbezeichnung abgelöst, meint Liz Gannes von GigaOM. Doch der Einfluss des Web 2.0 ist größer denn je.

Trendwende

Die Trendwende sei laut Gannes einfach zu datieren. 2007 erreichte die Google-Suche nach "Web 2.0" ihren Höhepunkt und nahm bis auf wenige Ausreißer seither kontinuierlich ab. Im Jänner 2010 wurde erstmals öfter nach "Social Media" gesucht.

Begrifflichkeiten

Das Problem mit dem Begriff "Web 2.0" ist vor allem, dass er zwar auf einen Entwicklungssprung hinweist, allerdings auch eine fertige, abgeschlossene Version impliziert. Und das ist für die rasche Entwicklung im Web kaum die richtige Charakterisierung. Der Begriff "Social Media" kam mit Diensten wie Facebook, Flickr oder Twitter auf, bei denen die soziale Vernetzung der Nutzer im Vordergrund steht. Ganz so einfach auf einen Begriff ist die Entwicklung von Web-Technologien aber nicht festzunageln. Denn "Social Media" hält zwar den starken Trend zur User-Vernetzung fest, doch nicht jedes neue Web-Tool dreht sich um soziale Features.

Verlagerung ins mobile Web

Gleichzeitig mit der Verlagerung vom Web 2.0 zu Social Media fand auch eine Verschiebung der Plattformen statt. Webservices verlagern sich zunehmend ins mobile Web - Dienste wie Facebook oder Twitter konnten ihren Nutzen erst durch die Ergänzung mit mobilen Versionen entfalten. Es kommt nicht mehr nur darauf an, was man wann tut, sondern auch wo. Mobilfunker versuchten mit Location Based Services schon viel früher Mehrwert auf Handys zu bringen - beispielsweise Restaurants oder Tankstellen in der Näheren Umgebung anzuzeigen. Doch erst mit der Einbeziehung der User durch eigene Fotos, Kommentare und Bewertungen scheinen diese Services an Zugkraft zu gewinnen.

Im Zentrum steht der User

Vom "Mitmachweb", wie es zum Start von Wikipedia und den ersten Blogs auch genannt wurde, versprechen sich vor allem auch Unternehmen, Politiker und Medien zu profitieren. Galt es bis vor kurzem als schick und strategisch wichtig mit den Kunden, Wählern und Lesern über Kommentarfunktionen, Foren und Blogs in Verbindung zu treten, sind es jetzt die Twitter-Accounts und Facebook-Seiten, mit denen die Community geschart werden soll. Man will den Usern das Gefühl geben auf Augenhöhe mit ihnen zu kommunizieren. Einige Unternehmen haben das relativ geschickt umgesetzt, so führt beispielsweise Dell schon einen guten Teil des Umsatzes auf seine Twitter-Accounts zurück. Und den Fanseiten und Accounts von Politikern wie Barack Obama oder Schauspielern wie Asthon Kutcher folgen die User millionenfach.

Medien-Krise

Bei all den Partizipationsmöglichkeiten darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Zahl der "Empfänger" noch immer größer als die Zahl der "Sender" ist - bzw. nur ein minimaler Prozentsatz aller Twitter-User tatsächlich aktiv twittert. Die User haben Medien nicht als Produzenten von Nachrichten abgelöst. Mit dem "Web 2.0" oder "Social Media" haben sich jedoch die Verbreitungskanäle verändert. Twitter, Facebook und Co kommen immer mehr die Rolle der Verbreitung zu. Vielen Verlagen und Zeitungen fällt nun auf den Kopf, dass sie bereits die erste Runde verschlafen hat: Printartikel nicht einfach nur online zugänglich zu machen, sondern ein adäquates Online-Angebot zu entwickeln. Denn anstatt die Artikel einer Zeitung bzw. eines Online-Angebots zu lesen, schaffen sich User über Twitter und Facebook ihre eigenen Nachrichten-Feeds verschiedener Angebote. Die Nutzer beteiligen sich auch hier aktiv, aber auf eine andere Art als sich die Medien das gewünscht haben: anstatt sich mit eigenen Inhalten einzubringen, stellt man sich das persönliche News-Portfolio zusammen.

Kein Web 3.0

All diese Trends, die sich aus Web 2.0 entwickelt und mit Social Media eine neue Richtung erhalten haben, sind nicht unter einem Hut zusammenzufassen. Vom "Web 3.0" ist man daher recht schnell wieder abgekommen. Dank der Marketingspezialisten wird man aber wohl auch in Zukunft nicht von einem neuen Namen verschont bleiben. (Birgit Riegler/derStandard.at 19. März 2010)