Ein 61-Jähriger will die Bloggerszene "revolutionieren": Andreas Unterberger will zeigen, wie man Userzahlen zu Geld machen kann.

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Andreas Unterberger ist ein "Visionär": "So etwas hat es meines Wissens in Europa noch nicht gegeben". Die Inspiration holte er sich vom Online-Lexikon Wikipedia: "Die haben auch einen Spendenaufruf gemacht." Seine Visionen verwirklichen will er mit Hilfe der User, die er seit Mitte Februar via "Appell" um Beiträge für die Finanzierung seines Blogs bittet. Für Unterberger sind das keine Spenden, sondern "Unkostenbeiträge", wie er betont. "Es sind schon über 400 eingegangen", sagt er gegenüber etat.at, "mehr Geld als alle Online-Experten prophezeit haben".

"Täglich Zahlungen"

Der ehemalige Chefredakteur der "Wiener Zeitung" und der "Presse" betreibt sein "nicht ganz unpolitisches" Tagebuch, wie er es nennt, seit Herbst 2009. Mit den Userzahlen ist er zufrieden, mit der Monetarisierung (noch) nicht. Unterberger sieht sich aber auf einem guten Weg: "Es kommen täglich Zahlungen rein." Die Mehrzahl spendet 120 Euro oder mehr, erläutert er, "manche machen das via Dauerauftrag und lassen zehn Euro pro Monat abbuchen". Trotzdem sei der Blog noch lange nicht ausfinanziert.

Ein Grashalm im Strauß

Für ein Minimum von 120 Euro im Jahr werden aus Lesern "Partner" und "Sponsoren", auf die eine Reihe von "Garantien" warten. Sie können sich etwa das Thema eines Tagebuch-Eintrags aussuchen; "aber nicht die Meinung". Darauf lege er Wert. "In dem Strauß, den ich den Partnern anbieten werde, ist das nur ein Grashalm", meint Unterberger zur freien Themenwahl, schränkt aber gleichzeitig ein, dass er nicht über alles schreiben werde. "Wenn sich jemand zum Beispiel die Weisen von Zion wünscht oder ein Spaßvogel auf die Idee kommt, mir eine physikalische Frage zu stellen, an der ich scheitern würde."

Erstens müsse er inhaltlich etwas beitragen können, präzisiert er, und zweitens müsse es mit seinem Gewissen vereinbar sein. Der Blogger glaubt, Experte für ein breites Spektrum zu sein; "ganz egal ob Politik, Geschichte, Gesellschaft oder Wirtschaft" - Unterberger kommentiert. "Schon jetzt bekomme ich pro Tag ein halbes Dutzend Themenvorschläge" sagt er und will die Interaktivität mit seinen Lesern noch intensivieren. Schließlich sei das Internet "dialogisch", so der 61-Jährige.

Freie Zugang bleibt

In welcher Form der Dialog passieren soll, will er noch nicht konkretisieren. Nur so viel: "Es gibt einen Ideenplan mit 45 Punkten". Alle könnten nicht realisiert werden, meint er und verspricht eine "Reihe von Vergünstigungen und Goodies" für die Zahlenden. Und jene, denen Unterbergers "Ergüsse" keine 120 Euro wert sind? "Der freie Grundzugang wird erhalten bleiben", stellt er klar, "sonst wäre das nicht sinnvoll". Und zukünftige Zahler ließen sich schwerer generieren. Die Spreu vom Weizen werde über ein Passwort-System getrennt.

An potenzielle Zahler appelliert Unterberger, nicht mehr als 1.200 Euro pro Jahr zu überweisen. Um die Unabhängigkeit zu wahren, wie er unterstreicht. Dass Firmen als Blog-Sponsoren fungieren könnten, glaubt er nicht: "Die hätten nie die Garantie, dass es in ihrem Sinne ist, was ich schreibe." Bis dato habe es keine thematische Anregung gegeben, die als Unternehmensinteresse identifizierbar wäre, behauptet der Journalist, der die Unabhängigkeit überhaupt als wichtigstes Kriterium seines Blogs sieht.

Unterbergers "Metamorphose"

Deswegen wolle er sein Portal auch nicht für die Werbeindustrie öffnen: "Das ist der Gegensatz zu Tageszeitungen, wo es Kooperationsseiten gibt." Firmen würden Beiträge bestellen. "Ein Korruptionsgemisch", so nennt das der langjährige Printler, der sich jetzt als unabhängiger Onliner geriert. Nur über die Schiene Werbung könne so eine Content-Plattform nicht reüssieren, vermutet er. Extra kennzeichnen will er "bestellte" Themen nicht: "Viele Leser sind ja ohnehin mit Pseudonymen unterwegs."

Am liebsten schreibt Unterberger, der sich als "wertkonservativ" definiert, gegen die "Dummheiten des Zeitgeistes" und versteht sein Tagebuch als "Gegenstimme zum grün-linksliberalen Mainstream" in den Medien. Etwa wenn er anlässlich des "wochenlang zelebrierten" Frauentags gegen die "Diskriminierungslüge" wettert und die "wahren Fakten gegen diese Gehirnwäsche" zu kennen glaubt. Oder wenn er das "Schweigen der Medien über arge und nie bestrafte Kindesmissbräuche im linken politischen Bereich" anprangert und diese mit den kirchlichen Missbrauchsfällen kontrastiert.

Ein Blog, sechs Leute

Derzeit, erzählt Unterberger, arbeite sein Team an der Implementierung der nötigen Software, um die Neuerungen umzusetzen. Ein Team, das aus sechs Personen besteht. Die würden ihn alle nur je nach Bedarf und auf Werkvertragsbasis unterstützen, kontert er Postern, die ob des Personalaufwands "DDR-Niveau hinsichtlich der Effizienz" orten. "Einer macht die Buchhaltung, der eine EDV, einer das Layout und einer hilft manchmal bei Recherchen", erklärt der 61-Jährige.

Laut eigenen Angaben konnte Unterbergers Seite seit dem Start im Oktober 2009 rund 405.000 Visits von 112.000 Unique Clients verbuchen (Stand: Anfang März 2010). Ob sich die Userzahlen zu Geld machen lassen, wird sich in Kürze entscheiden. Zu Ostern will der Betreiber bilanzieren und danach bekannt geben, ob das Tagebuch fortgesetzt oder in dieser Form eingestampft wird. Unterberger gibt sich zuversichtlich: "Anscheinend legen doch viele Wert darauf, dass es das Angebot weiterhin gibt." Sonst hätten sie nicht bezahlt, so der Tagebuchschreiber. Sollte die Finanzierung scheitern, will er den Usern das Geld retournieren.

Facebook

Weil Unterberger anscheinend engültig auf den Geschmack des Web 2.0 gekommen ist, präsentiert er sich auch auf Facebook; um seine Beiträge zu bewerben. Der Gruppe "Sammeln wir 1.200 Euro, damit Andreas Unterberger seinen Blog aufgibt" ist er nicht beigetreten. (Oliver Mark, derStandard.at, 21.3.2010)