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Vorurteile wie in Stein gemeißelt - das war auch schon vor zweieinhalbtausend Jahren nichts Ungewöhnliches. Viele der Klischees über die verschiedenen Volksgruppen im antiken Griechenland sind durch Komödien überliefert.

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Grazer Forscher haben sich auf die Suche nach den gängigsten Stereotypen der Antike begeben und deren politische Vereinnahmung durchleuchtet.

Es ist schon erstaunlich: Trotz Globalisierung und "political correctness" sind ethnische Zugehörigkeit und die damit verbundenen Stereotype aktuell wie eh und je. Tief verankerte ethnische Klischees sind auch die Basis für das Ent- und Verstehen zahlloser Witze. Etwa jener vom indischen Ehepaar, das bei seiner Einreise nach Großbritannien nach dem Alter gefragt wird, worauf der Mann antwortet: "I'm thirty and my wife is thirtytwo." Wobei in der indischen Aussprache das englische "30" ähnlich klingt wie "dirty", also schmutzig. Um den Witz zu verstehen, muss man also das üble ethnische Stereotyp vom "schmutzigen Inder" ebenso kennen wie jenes von den Ausspracheproblemen der Inder im Englischen.

Dass ethnische Stereotype und ihre politische Instrumentalisierung keine Entwicklung der Neuzeit sind, belegt eine aktuelle Studie von Grazer Althistorikern. Sie nahmen nämlich die Vorurteile der alten Griechen unter die Lupe. Denn auch diese hatten schon ihre Freude an der Verhöhnung bestimmter ethnischer Gruppen durch emsige Vorurteilspflege. Nicht wenige dieser oft zweieinhalb Jahrtausende alten Klischees sind durch die griechischen Komödien überliefert.

"In unserer Arbeit wollen wir klären, inwieweit ethnische Zugehörigkeit Auswirkungen auf die Politik und generell auf das Verhältnis einzelner Gemeinschaften zueinander hat", erklärt Projektleiter Klaus Tausend von Institut für Alte Geschichte der Karl-Franzens-Universität in Graz. "Als Basis dafür erstellen wir eine kommentierte Quellensammlung, wobei sich unsere Recherchen auf den Zeitraum der griechischen Antike, vom 8. Jahrhundert bis 338 v. Chr. erstrecken."

So galten etwa die Boioter, die eine ländliche Region nördlich von Athen bewohnten, als besonders derb, unkultiviert und verfressen. Es gab sogar den Ausspruch "Fressen wie ein Boioter". Ein vor allem von athenischen Komödienschreibern gepflegtes Vorurteil, das bei Bedarf auch für politische Zwecke genutzt wurde. Waren die Boioter doch die ungeliebten bis feindlichen Nachbarn der Athener, die – wie Athen selbst – um die Vorherrschaft in Mittelgriechenland rangen.

Die Verunglimpfung der Boioter führte über Witze bis zur politischen Propaganda, für deren Zwecke sogar der berühmte Ödipus-Mythos instrumentalisiert wurde: Ödipus war nämlich ein Mann aus Theben, also Boioter. "Die Athener hielten den Boiotern vor, dass der berühmteste Mann ihrer Geschichte ein Vatermörder und Mutterschänder sei", sagt Markus Handy, der im Rahmen des vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekts zahllose antike Texte auf ethnische Stereotype durchforstet hat.

Verunglimpfte Vegetarier

Mit Spott und Häme wurden wegen ihrer pflanzlichen Ernährungsweise bevorzugt auch die Arkadier bedacht. "Burzeldornvertilger" nannte sie der Lyriker Alkaios von Lesbos, und Herodot überlieferte einen Orakelspruch, wonach sich die Arkadier vornehmlich von Eicheln ernährten. Das war damals eine ziemliche Verunglimpfung, da Vegetarier als besonders zurückgeblieben und unzivilisiert galten.

Generell unterlagen die Ernährungsweise und auch der Umgang mit Alkohol in der Antike einer strikten Reglementierung: Alles, was vom "Mainstream" abwich, wurde aufs Übelste abqualifiziert – ein kulturpsychologisches Muster, das offenbar Jahrtausende überlebt hat. Demnach war es bei den alten Griechen verpönt, Alkohol pur, also ohne Zusatz von Wasser, zu trinken. So etwas taten nach allgemeiner Ansicht nur die Barbaren außerhalb Griechenlands – und natürlich die Boioter. Von den Ionern – zu denen ethnisch auch die Athener zählten – kursierte das Klischee vom verweichlichten, reichen Feigling, der im Krieg problemlos zu besiegen sei. Ein Vorurteil, das vor allem während des Peloponnesischen Krieges zwischen Sparta und Athen verstärkt zur geistigen Aufrüstung der Spartaner eingesetzt wurde. "Feigheit im Kampf ist eine stereotype Zuweisung, die auch die Völker des Orients wie etwa die Perser oder Lyder traf", erläutert Klaus Tausend.

Dekadent wie Krösus

Den Grund dafür sah man in einer umfassenden Dekadenz, die nach den griechischen Vorstellungen eine Folge von Macht und Reichtum war. Bezeichnenderweise kam der sprichwörtlich reiche König Krösus aus Lydien, das als östlicher Nachbar im 6. Jahrhundert v. Chr. die ionischen Städte an der kleinasiatischen Küste beherrschte.

"Viele Klischeebilder von den Lydern wurden dann auch auf die Ioner übertragen", sagt Markus Handy. "Allmählich sahen sich die Ioner selbst aus der Perspektive dieser Vorurteile und ließen sich von Künstlern häufig als dicke, dem Luxus frönende Männer darstellen. Auf eine Art also, wie man vorher nur die Lyder präsentierte."

Obwohl solche ethnischen Stereotype meist auf verallgemeinernden, unreflektiert übernommenen Meinungen oder Vermutungen beruhen, bilden sie letztlich schwer veränderbare Bilder in der Vorstellungswelt der Menschen. Welche politische Kraft daraus durch gezielte Stimulierung entstehen kann, haben nicht nur die ethnischen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien gezeigt. Die Beschäftigung mit der Entstehung, Instrumentalisierung und Dekonstruktion von ethnischen Punzierungen ist eine höchst aktuelle Angelegenheit – auch am Fallbeispiel einer längst untergegangenen Kultur. (Doris Griesser/DER STANDARD, Printausgabe, 31.03.2010)