Der Gesichtsschleier wurde ihr zum Verhängnis: Die 29-jährige Naema, die aus Ägypten nach Quebec eingewandert ist, darf in einem von der Regierung organisierten Kurs nicht mehr Französisch lernen. Ihr Niqab, der nur die Augen freilässt, stört den Behörden zufolge den Unterricht. "Ich fühle mich gedemütigt", sagte Naema dem Sender CBC.
In Quebec, der größten Provinz in Kanada, ist ein Gesetz geplant, wonach Musliminnen, die ihr Gesicht in staatlichen Einrichtungen verhüllen, keine Dienstleistungen der Regierung mehr erhalten sollen. Der liberale Premier Jean Charest begründete seinen Vorstoß mit der Gleichstellung der Frauen. Wird die Gesetzesvorlage beschlossen, müssen Frauen künftig in Schulen, Spitälern, Kinderkrippen, Regierungsbüros, Universitäten oder bei Ärzten ihre Burka oder den Niqab ablegen.
Werte verteidigen
Charest sagte, es gehe darum, "Grenzen zu ziehen", um die Werte Quebecs zu verteidigen. 95 Prozent der QuebeckerInnen befürworten laut Umfragen das Gesetz. Und 80 Prozent aller KanadierInnen. Das deutet auf ein radikales Umdenken im multikulturellen Kanada hin, wo von ImmigrantInnen in der Regel wenig Anpassung gefordert wird.
Auch der konservative kanadische Premier Stephen Harper, der vor drei Jahren vorschreiben wollte, dass sich Musliminnen in Wahlbüros unverschleiert präsentieren, ist dafür. Salam Elmenyawi vom Muslimen-Rat in Montreal weist darauf hin, dass es in Quebec nur etwa zwei Dutzend völlig verschleierte Musliminnen gebe. Das geplante Gesetz stelle "eine düstere Zeit für Quebec und Kanada dar", so Elmenyawi.
Die Menschenrechtskommission von Quebec gab zu bedenken, dass von 146.000 BürgerInnen, die 2008 und 2009 zu Gesundheitsbehörden kamen, nur zehn Frauen verschleiert waren. Der gemäßigte Muslimen-Kongress hatte die Regierung hingegen ersucht, den Niqab aus Gründen der Sicherheit und Frauendiskriminierung in der Öffentlichkeit zu verbieten.
Rundfunkmoderator John Moore aus Toronto kritisierte in der Zeitung The National Post, dass Quebec die erste gesetzgebende Behörde in Nordamerika sei, die den direkten Kampf mit den MuslimInnen aufgenommen habe. "Wir befahlen den Chinesen ja auch nicht, von ihren Pyjamas abzulassen", schrieb Moore. (Bernadette Calonego aus Vancouver/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.4. 2010)