
Die Autobahnvignette von 1999 ist wohl nicht der Grund, warum Menschen in eine Starre verfallen, wenn sie den rosaroten 1966er Mercedes 220 S Leichenwagen sehen. Der rosarote Leichenwagen steht im hintersten Winkel eines rund zehn Meter unter der Erde gelegenen Kellers in Schwechat. "Ursprünglich gehörte der Keller einer Brauerei. Mein Großvater hat ihn vor dem zweiten Weltkrieg gekauft. Die Familie lebte damals sehr gut von der unterirdischen Champignon-Zucht. Nach Tschernobyl brach das Geschäft vollkommen zusammen und wir konzentrierten uns auf das zweite Standbein, das wir nebenbei aufgebaut haben."

Großvater-Ries kaufte sich seinerzeit einen Mercedes – und bald darauf einen zweiten, einen Unfallwagen als Ersatzteillager, an dem sich auch bald andere Mercedes-Fahrer bedienen wollten. Heute sind Hof und Keller eine Ersatzteil-Firma voll mit Teilen, Oldtimern und unzähligen Leichen zum Ausschlachten. Unter anderem steht dort eben dieser rosarote Leichenwagen, zu dem man erst kommt, wenn man an den anderen Mercln, wie dem 300 CE Coupé von Gina Lollobrigida, vorbeigegangen ist.

"Der Wagen war Werbeträger für ein Wiener Zuckerlgeschäft. Er hat aber keine österreichische Zulassung und war nur mit blauen Nummerntafeln unterwegs." Innen wurde der Wagen einmal restauriert: "Aber nicht sehr gut – angeblich in Ungarn. Hinten ist alles Nirosta." Der Motor wurde ebenfalls überholt und läuft gut. Trotzdem kann man den rosaroten 220 S mit Vergaser-Motor und Servolenkung in dem Zustand nicht fahren.

Nicht zu fahren mit seinem Leichenwagen – das ist für den Südsteirer
Hubert Jagersbacher kaum vorstellbar. Mit seinem Chrysler Windsor ist
er immer wieder auf Oldtimer-Treffen zu sehen. "Der Wagen war ab 1956
der Direktionswagen des Hotel Sacher in Wien. 1965 wurde er zum
Leichenwagen umgebaut und war dann in Leibnitz im Einsatz." Mit ihm
wurden nur Bürgermeister und andere Honoratioren auf den Friedhof
gebracht. "Der Wagen ist ein Stück Leibnitzer Geschichte. Den muss man
einfach erhalten", begründet Hubert Jagersbacher, warum er den
Chrysler übernommen hat.

Wirklich spleenig war aber der Wiener Ernst Bernsteiner, der sich einen VW T1, Baujahr 1958, restaurierte. Die großen Glasscheiben, durch welche die Trauernden einst den Sarg sahen, waren der Grund, warum sorgende Eltern ihren Kindern die Augen zuhielten, wenn Ernst Bernsteiner an ihnen vorbeifuhr. Dort, wo man mit einem Sarg rechnet, trieben es auf unebenen Straßen aufblasbare Sexpuppen bunt. Entsprechend der Beladung änderte Bernsteiner dann auch den Schriftzug auf den Türen auf "Begattung Wien". Das Fahrzeug steht jetzt irgendwo in den Niederlanden – Bernsteiner hat den Leichenwagen verkauft.

Verkaufen würde Heinz Ries seinen rosaroten Mercedes auch. "Ich
hänge an dem Auto nicht mehr oder weniger als an anderen Fahrzeugen."
Über den Preis müsste man reden, aber wenn man den Wagen nicht selber
herrichten kann, sollte man besser die Finger davon lassen", erzählt er,
der den 220er auch ziemlich emotionslos ausschlachten würde. (Guido Gluschitsch (Text), Wolf-Dieter Grabner (Fotos Mercedes)/DER STANDARD/Rondo mobil/März 2010)