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Weiß er schon, ob sie ihn wählen? Der ehemalige und wahrscheinliche künftige Premier Viktor Orbán im Wahlkampf in Székesfehérvár (Stuhlweißenburg) südwestlich von Budapest.

Foto: AP/Beliczay

Die Partei des Oppositionsführers Viktor Orbán wird die Wahl laut Umfragen haushoch gewinnen.

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Drei Tage vor den Parlamentswahlen in Ungarn hat das Bekanntwerden von illegalen Datenerhebungen über das spezifische Wahlverhalten der Bürger einen Skandal ausgelöst. Gábor Kubatov, der Parteidirektor des rechtsnationalen Bundes Junger Demokraten (Fidesz), hatte in einer internen Ansprache vor Parteiaktivisten dargelegt, wie auch die Personalangaben von Menschen, die nicht Fidesz wählen, vom Parteiapparat erhoben und gespeichert werden.

Den Tonmitschnitt dieser im vergangenen September gehaltenen Ansprache hatte am Mittwoch ein abgesprungener Fidesz-Aktivist den Medien zugespielt. Die Fidesz-Pressestelle bestritt am Donnerstag, dass man illegal Daten sammle. Kubatovs inhaltliche Auslassungen konnten jedoch von Fidesz nicht in Abrede gestellt werden.

Die rechte Oppositionspartei unter dem Ex-Ministerpräsidenten Viktor Orbán steht vor einem Erdrutsch-Sieg. Meinungsumfragen sagen ihr beim Urnengang an diesem Sonntag 58 bis 63 Prozent der Stimmen voraus. Aufgrund der Mandatszuteilung durch das ungarische Wahlrecht käme Fidesz dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Zweidrittelmehrheit im neuen Parlament, mit der sich auch die Verfassung nach Belieben ändern ließe. Der Datenskandal erregt auch vor diesem Hintergrund große Besorgnis.

Konkret ging es in Kubatovs Ausführungen um die vorgezogene Bürgermeisterwahl im vergangenen Mai in der südungarischen Stadt Pécs (Fünfkirchen). Diese hatte Fidesz-Kandidat Zsolt Páva mit 65 Prozent der Stimmen haushoch gewonnen, obwohl seine sozialistische Gegenkandidatin, die damalige Parlamentspräsidentin Katalin Szili, noch eine der relativ beliebtesten Politikerpersönlichkeiten des schwer angeschlagenen linken Lagers ist. Wie Kubatov in der internen Ansprache ausführte, kenne der Fidesz-Apparat nicht nur jeden einzelnen der 36.500 Pécser Fidesz-Wähler, sondern auch jeden einzelnen Nicht-Fidesz-Wähler. Kubatov wörtlich: "Wir wissen von 15.000 Menschen in der Stadt - so viele Stimmen wurden von jenen abgegeben, die Zsolt Páva ablehnten. Jeden von ihnen kennen wir dem Namen nach (...) Ich kann genau sagen, wer in der Stadt die ,Kummerln‘ (Kommunisten) sind, die wählen gingen und nicht Páva und nicht Fidesz unterstützen."

Wie kommt die Rechtspartei an diese Daten? Zum einen ließ Orbán nach der Wahlniederlage 2002, die seine erste Ministerpräsidentschaft nach vier Jahren beendet hatte, das Aktivistennetz stark ausbauen. Von Fidesz initiierte Volksbegehren führten beim Sammeln der Unterschriften zur Erhebung von Daten von Millionen potenzieller Unterstützer. Bei den Parlamentswahlen müssen darüber hinaus für die Einzelkandidaten Unterstützungserklärungen gesammelt werden. Die Formulare dafür (die sogenannten "Anklopfzettel" ) werden den Bürgern vor der Wahl per Post zugesandt.

Für die Parlamentswahlen sammelte Fidesz zwei Millionen (!) solcher Zettel ein, obwohl für die 176 Einzelkandidaten nicht mehr als 132.000 "Anklopfzettel" nötig gewesen wären. Der Sinn der Übung: Die Aktivisten bekommen bei den Hausbesuchen zum Einsammeln der Formulare ein nahezu vollständiges Bild über die politischen Neigungen der Bevölkerung. Wer einen Zettel abgibt, deklariert sich praktisch von selbst als Fidesz-Sympathisant, wer nicht, ist vermutlich keiner.

Die Systematisierung und Speicherung dieser Daten ist illegal, sie verstößt gegen das Wahlgeheimnis. Der ungarische Datenschutz-Ombudsmann András Jóri leitete am Donnerstag eine Untersuchung ein. (Gregor Mayer aus Budapest/DER STANDARD, Printausgabe, 9.4.2010)