Das Behandlungszimmer: Patientin, Ärztin, Dolmetscherin, Assistentin (von links).

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Nur zur Hälfte wird die Ordination durch öffentliche Gelder von der Stadt Wien und dem Gesundheitsministerium finanziert. Der andere Teil wird durch private Spenden abgedeckt.

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Zwei Jugendliche warten im Freien, bis die Ordination aufsperrt.

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An manchen Tagen können sich Frauen auch von Gynäkologen untersuchen lassen.

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Bei "Amber Med" gibt es zwei Behandlungszimmer.

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Medikamente werden auch von Pharma-Firmen zur Verfügung gestellt.

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Der Kinderarzt ist Mittwochs bei "Amber Med".

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Die Patienten erhalten Orientierungspläne, wenn sie in andere medizinische Zentren geschickt werden.

Foto: Ambermed

Patienten im Wartezimmer.

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Die Fabrikhallen sind grau, die angrenzende Südosttagente laut. Unweit der Busstation lockt ein großer Baumarkt mit Fünf-Jahres-Garantien auf elektrische Geräte und wirkt dennoch verlassen. Kaum jemand ist zu Fuß unterwegs, und wenn, dann ist der Blick zum Boden geneigt. Inzersdorf heißt dieser Stadtteil im Süden Wiens. Er besticht nicht gerade durch seine optischen Reize. Dennoch kommen Menschen aus aller Welt hierher. Aber nicht als Touristen oder Geschäftsleute. Sie sind krank, haben keine Krankenversicherung und suchen Hilfe. 

Gleich hinter dem Baumarkt befindet sich das Katastrophenhilfezentrum des Österreichischen Roten Kreuzes. Im Erdgeschoß hat vor einigen Jahren eine kleine Ordination des Diakonie-Flüchtlingsdienstes eröffnet. Dreimal pro Woche können sich Menschen ohne Krankenversicherung bei "Amber Med" umsonst behandeln lassen und erhalten Medikamente, ohne Geld dafür zu bezahlen. Österreicher machen nur einen sehr kleinen Teil der Patienten aus, denn die meisten sind versichert. Asylwerber und Migranten fallen aber oft durch die Maschen des Sozialnetzes und werden hier aufgefangen.

Insgesamt sind 98,8 Prozent der in Österreich lebenden Personen krankenversichert. Rund 100.000 Personen müssen aber ohne Versicherung auskommen.

Keine Arbeitsgenehmigung für Rumänen und Bulgaren

Es ist ein sonniger Tag. Ein junger Mann mit Zahnschmerzen ist zu früh dran. Er hat auf der Parkbank vor der Ordination Platz genommen und wartet, bis geöffnet wird. Er ist 16 Jahre alt, kommt aus Bulgarien und war schon öfter da, sagt er. Personen aus den neuen EU-Ländern Rumänien und Bulgarien besuchen "Amber Med" meist deshalb, weil sie in ihrer Heimat zwar versichert sind, ihre Krankenversicherung für kleine Eingriffe in Österreich aber nicht bezahlt. Aufhalten dürfen sie sich seit der EU-Mitgliedschaft zwar in Österreich, offiziell arbeiten aber nicht. Erst 2011 ist die Übergangsfrist zu Ende und Rumänen und Bulgaren erhalten eine Arbeitserlaubnis. Finden sie dann tatsächlich einen Job, werden sie auch ins Versicherungssystem aufgenommen.

Mehr als 20 ehrenamtliche Ärzte

Heute hat eine Allgemeinmedizinerin Dienst bei "Amber Med". Die mehr als 20 Ärztinnen und Ärzte, die regelmäßig helfen, arbeiten ehrenamtlich in der Ordination. Auch die Dolmetscher und Arzt-Assistentinnen erhalten kein Geld für die Hilfe, die sie hier leisten. Die Ordination hat dreimal pro Woche geöffnet. Carina Spak, Sozialarbeiterin und organisatorische Leiterin der Ordination, achtet darauf, dass mindestens ein Arzt pro Ordinationstag anwesend ist. Die Zahl der Patientenkontakte hat im vergangenen Jahr zugenommen. Spak überlegt deshalb, einen weiteren Ordinationstag einzuplanen.

2009 haben sich mehr als 800 Personen an die Ordination gewandt, mehr als 2600 Behandlungen sind erfolgt. Zwei Prozent der Patienten sind Österreicher, neun Prozent sind "sans Papiers" bzw. bestehen über sie keine weiteren Angaben. 36 Prozent sind Migranten oder EU-Bürger, die restlichen 53 Prozent der Patienten sind Asylwerber.

Aus der Grundversorgung gefallen

Auch der junge Bengale, der mit schmerzverzerrtem Gesicht im Wartezimmer Platz genommen hat, ist Asylwerber. Vor einigen Jahren bekam er bei einem Fußballmatch einen Stoß im Brustbereich ab und spürt die Auswirkungen bis heute. Begleitet wird er von einem befreundeten Landsmann aus Bangladesch, der für ihn übersetzt, denn seine Deutsch-Kenntnisse reichen nicht aus.

Krankenversicherung hat der junge Mann deshalb keine, weil er zwar als Asylwerber ins Land gekommen ist und somit theoretisch auch Grundversorgung erhalten würde. Nur wurde er in einem Heim, das sich nicht in Wien befindet, untergebracht und dort wollte er nicht bleiben. Die Wege zur medizinischen Versorgung sind am Land oft weit. Er lebt jetzt in Wien bei Bekannten, ist deshalb aus der Grundversorgung gefallen und hat damit auch seine Krankenversicherung verloren.

Aus Angst vor einem Negativbescheid nehmen es viele Asylwerber in Kauf, aus der Grundversorgung zu fallen. Sie wollen in Österreich bleiben, weil sie sich hier im Gegensatz zu ihrem Heimatland sicher fühlen.

Medikamentendepot des Roten Kreuzes

Die Ärztin schaut sich die Röntgenbilder der Lunge, die der Bengale mitgebracht hat, an. Es sind keine Verletzungen zu erkennen. Die Ärztin vermutet aber, dass der Muskel nach wie vor unter Mitleidenschaft gezogen ist und verschreibt deshalb Vitaminpräparate. "Wahrscheinlich ist das auch ein bisschen psychosomatisch", sagt sie. Die Medikamente erhält der Bengale gleich vor Ort. Neben der Ordination befindet sich das Medikamentendepot des Österreichischen Roten Kreuzes, wo die Patienten ihre Medizin gratis abholen können.

Oft sind Asylwerber auch deshalb nicht krankenversichert, weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde, sie aber in Berufung gehen. Sie sind "abgelehnte Asylwerber", wollen aber dennoch im Land bleiben. Carina Spak von Amber Med sagt dazu: "Jeder der zu uns kommt, wird behandelt." Sie kommen nach Österreich, obwohl sie eigentlich nicht hier sein dürften. Trotzdem sieht sie es als ihre Pflicht an, zu helfen: "Die Menschen sind nun mal hier und man kann die Kranken nicht einfach wegschicken. Wir sind für alle da. Ihnen muss geholfen werden."

Hilfe trotz chinesischer Kräuter

Die nächste Patientin ist eine ältere Dame aus China. Sie klagt über ihren zu hohen Blutdruck. Seitdem sie chinesische Kräuter einnimmt, ist es schon besser geworden, sie will sich aber dennoch vergewissern, ob alles in Ordnung ist. Ihr Gespräch mit der Ärztin wird von einer Dolmetscherin übersetzt. Die Ärztin verschreibt ihr ein blutdrucksenkendes Mittel und bittet sie, in ein paar Wochen wieder zur Kontrolle zu kommen. In der Zwischenzeit soll sie auch ein Blutbild anfertigen lassen.

Rumäne kann OP-Rechnung nicht bezahlen

Nach der Chinesin kommt ein Rumäne ins Arztzimmer. Er braucht Schlafmittel, weil er vor kurzem eine Gallen-Operation hatte und seither schlecht schläft. Die Operation ließ sich nicht vermeiden und er ging ins Krankenhaus. Einige Tage später flatterte eine Rechnung über mehrere tausend Euro herein. Die wird er jedoch nicht bezahlen können. Auch hier bemüht sich "Amber Med" um Vermittlung. Spak hat einen Brief an das Spital geschrieben und um Aufhebung der Schulden gebeten.

"Wir tun was wir tun können", sagt Spak. Aber alles habe seine Grenzen. So hat sie zum Beispiel aufgehört zu intervenieren, wenn einer ihrer Patienten Hilfe sucht, weil er beim Schwarzfahren erwischt wurde: "Das übersteigt unsere Kapazitäten."

Busfahrt als Hindernis

Aber für viele ist das dennoch schon die erste Hürde, wenn es darum geht, hierher nach Inzersdorf in die Ordination zu kommen. Man muss mit dem Bus fahren, was wiederum mit Kosten verbunden ist. Die Ärzte können mit ihren Autos vor dem Haus parken und das ist zumindest für sie ein Anreiz, um in ihrer Freizeit für die kranken Asylwerber und Flüchtlinge da zu sein. Relativ wenig Lohn für ihre hier geleistete Gratis-Arbeit. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 12.4.2010)