Warschau - Auf die Piloten der verunglückten polnischen Präsidentenmaschine ist nach Angaben polnischer Ermittler kein Druck ausgeübt worden, trotz des schlechten Wetters die Landung im russischen Smolensk zu versuchen. Dafür gebe es derzeit keine Hinweise, sagte der polnische Generalstaatsanwalt, Andrzej Seremet, am Montag in Warschau. Bei dem Unglück am Samstag waren Polens Präsident Lech Kaczynski und andere hochrangige Vertreter des Landes ums Leben gekommen. Die Delegation wollte des Massakers von Katyn gedenken, bei dem sowjetische Einheiten zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 22.000 Polen ermordet hatten.
Seremet sagte, die Experten untersuchten die Daten der Flugschreiber allerdings weiter auf Hintergrundgeräusche, die auf eine mögliche Einflussnahme von dritter Seite hindeuten könnten. Polnische Medien hatten die Vermutung aufgestellt, die Piloten seien angehalten worden, das Flugzeug um jeden Preis zu landen, damit die Delegation um Kaczynski rechtzeitig zu der Gedenkfeier in Katyn eintreffen könne.
Nach russischen Angaben hatten die Piloten den Rat der Fluglotsen nicht befolgt, wegen des dichten Nebels auf den Flughafen der weißrussischen Hauptstadt Minsk auszuweichen. Beim vierten Landeversuch streifte die Maschine Baumwipfel und stürzte in ein Waldgebiet. Keiner der der 96 Menschen an Bord überlebte.
Nach Angaben der polnischen Generalstaatsanwaltschaft befanden sich am Montag noch immer Leichen im Wrack der Maschine. Bisher seien 87 Leichen geborgen worden, sagte Seremet. Derzeit werde an einem Zugang für schweres Räumgerät zur Unglücksstelle gearbeitet, um große Wrackteile anzuheben und die verbleibenden sterblichen Überreste zu bergen.
Präsidentenwahl soll möglichst spät stattfinden
Unterdessen traf Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski, der bis zur Neuwahl die Aufgaben des Staatsoberhauptes übernommen hat, erste Personalentscheidungen. Zum Chef des Amtes für Nationale Sicherheit (BBN) ernannte er den General Stanislaw Koziej. Mit der Leitung der Präsidialkanzlei betraute er Jacek Michalowski. Am Dienstag sollen beide Kammern des Parlaments, Sejm und Senat, zu einer Trauersitzung zusammentreten.
Komorowski will die Wahl des Staatsoberhaupts so spät wie möglich ansetzen. Der letzte mögliche Termin sei der 4. Juli, sagte Komorowski am Montag im polnischen Fernsehen. Er werde in den kommenden Tagen die Parteien nach ihren Präferenzen befragen. Sollte dies kein Ergebnis bringen, neige er zu dem spätmöglichsten Termin. Turnusgemäß war die Präsidentenwahl im Oktober geplant gewesen. Komorowski hätte dabei Kaczynski Umfragen zufolge geschlagen.
Der frühere polnische Präsident Lech Walesa kritisierte am Montag, dass derart viele wichtige Politiker, Militärs und Staatsbeamte in einem Flugzeug gesessen hätten. "Das war unverantwortlich", sagte er. Es müsse Regeln geben, dass so etwas nicht wieder passieren könne.
Bereits am Montagmorgen versammelten sich wieder zahlreiche Menschen vor dem Präsidentenpalast, sie legten Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Schon in der Nacht waren Abertausende dorthin gezogen, vor den ausliegenden Kondolenzbüchern bildeten sich lange Schlangen, überall hingen weiß-rote Nationalflaggen.
Überführung der Opfer ab heutigem Dienstag
Die offizielle Trauerfeier nach dem tragischen Tod des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski und die weiteren 95 Opfer ist für Samstag auf dem Pilsudski-Platz in Warschau geplant. Das erklärte im Fernsehsender TVN24 der Parlamentsvorsitzende Bronislaw Komorowski, der nach der Verfassung das Amt des Präsidenten interimistisch übernommen hat. Der Staatsminister in der Präsidialkanzlei, Jacek Sasin, betonte jedoch gegenüber Radio RMF FM, dass keine Beisetzung stattfinden wird, bis die Leichen von allen Opfern nach Warschau übergeführt worden sind.
Nach der Überführung des Leichnams von Präsident Kaczynski sollen ab Dienstag auch die anderen Opfer des Flugzeugabsturzes aus Russland in ihre polnische Heimat gebracht werden. Am heutigen Dienstag sollen auch beide Kammern des Parlaments, Sejm und Senat, zu einer Trauersitzung zusammentreten. Die Identifizierung mancher Leichen werde jedoch noch zwei bis drei Tage dauern, sagte der stellvertretende Moskauer Bürgermeister Pjotr Birjukow am Montag nach Angaben der Agentur Interfax. Die sterblichen Überreste der Passagiere waren zur gerichtsmedizinischen Untersuchung nach Moskau gebracht worden.
Leiche von Präsidentengattin identifiziert
Zwei Tage nach der Flugzeugkatastrophe ist auch die Leiche der Ehefrau des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, Maria, identifiziert worden. Der Termin für die Beisetzung des Präsidentenpaares ist nach den Worten von Sasin aber nach wie vor offen. Die Beerdigung soll erst stattfinden, wenn alle Opfer der Katastrophe wieder in ihre Heimat übergeführt worden sind. Viele der 96 Opfer des Absturzes sind in einem Zustand, dass für ihre Identifikation DNA-Analysen erforderlich sind. Die Identifizierung aller Opfer werde noch zwei bis drei Tage dauern, sagte die russische Gesundheitsministerin Tatjana Golikowa. Rund 130 Angehörige trafen laut AFP in der Nacht zum Montag an Bord einer russischen Sondermaschine in Moskau ein, um ihre Familienmitglieder zu identifizieren.
Laut Außenminister Radoslaw Sikorski wollen der russische Präsident Dmitri Medwedew und Ministerpräsident Wladimir Putin an dem Begräbnis des polnischen Staatsoberhauptes persönlich teilnehmen. Der Sarg des verstorbenen Präsidenten wird am Dienstag im Präsidentenpalast aufgebahrt und soll bis zum Tag des Begräbnisses für die Öffentlichkeit zugänglich sein.
Die endgültige Entscheidung wann das Begräbnis stattfinde, sei noch nicht gefallen, sagte die ehemalige Beraterin Kaczynskis, Elzbieta Jakubiak laut AFP. "Die Familie des Präsidenten hat das letzte Wort", sagte sie. Es sei auch möglich, dass die Trauerfeier für die Opfer auf zwei Tage ausgedehnt werden. Als letzte Ruhestätte kommen nach Angaben Jakubiaks die St.-Johannes-Kathedrale oder der historische Powazki-Friedhof in Warschau und der Wawel, die ehemalige Residenz der polnischen Könige in Krakau, in Frage.
Bundespräsident Fischer kondolierte
In der polnischen Botschaft in Moskau legte Präsident Medwedew am nationalen Trauertag einen Strauß roter Rosen vor einem Porträt seines Kollegen Kaczynski nieder. Er trug sich auch in ein Kondolenzbuch ein. In der Hauptstadt hingen die Fahnen auf Halbmast. Das Fernsehen verzichtete auf Unterhaltungssendungen und Werbung. Deutschlands Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagten ihre Teilnahme an den Trauerfeierlichkeiten bereits zu.
In Wien trug sich Bundespräsident Heinz Fischer am Montagnachmittag in der polnischen Botschaft in das Kondolenzbuch für Kaczynski ein. Von polnischer Seite lag noch keine offizielle Einladung für die Trauerfeier am Samstag vor, wie die Präsidentschaftskanzlei der APA auf Anfrage mitteilte. Wenn diese eintreffe, würden terminliche Vorbereitungen für einen Polen-Besuch Fischers getroffen. (APA/AFP)