Ein Schreiben der "Animal Liberation Front", das laut Gerichtsgutachten von Martin Balluch verfasst worden sein soll.  Unseriös, kritisiert der Gegengutachter: Der Text sei zu kurz, um die Identität des Verfassers/der Verfasserin zuverlässig bestimmen zu können

Screenshot: tatblatt

Die darunter stehende "Hintergrundinformation zur Animal Liberation Front" wurde mit obigem Schreiben zu einem "Bekennerschreiben" zusammengefasst. Unzulässig, kritisiert der Gegengutachter: Die Texte stammten von zwei unterschiedlichen AutorInnen

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Eigentlich habe ihm der Arzt verboten, mit einem erst jüngst erlittenen Hörsturz ins Flugzeug zu steigen. Dennoch ließ sich Raimund H. Drommel die Wien-Reise nicht nehmen, "weil ich nicht glauben kann, dass so etwas in Europa im Jahr 2010 möglich ist." Der Linguist und Sachverständige aus Deutschland, der unter anderem Bekennerschreiben der Rote Armee Fraktion analysiert hat, ortet grobe Unregelmäßigkeiten im Tierrechtsprozess. Jenes Sprachgutachten, das den Hauptbeschuldigten Martin Balluch als Verfasser mehrerer Bekennerschreiben ausweist, sei unakzeptabel. Oder, in Drommels Worten: "Wäre das eine Seminararbeit, dann würde ich sagen: Setzen, Ungenügend."

Gutachten belastet Balluch

Das Gutachten des Grazer Sachverständigen Wolfgang Schweiger dient der Anklage als zentrales Beweisstück gegen Martin Balluch, Obmann des Vereins gegen Tierfabriken (VGT). Dieser habe "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" drei Bekennerschreiben und 16 Leserbriefe erstellt, die ihn in Verbindung mit Brandanschlägen und einer Nerzbefreiung bringen, ist dort zu lesen. Drommel hat für Balluch ein Gegengutachten erstellt.

"Kein Bekennerschreiben"

Seine Kritikpunkte: Schweiger hätte mehrere Texte zu einem einzigen "Bekennerschreiben" deklariert, obwohl die Texte erkennbar von verschiedenen AutorInnen stammten und zudem keine typischen Merkmale eines Bekennerschreibens aufwiesen. "Schweiger weiß nicht einmal, was ein Text ist", ätzt Drommel. "Das ist, wie wenn ein Blinder über Farbenlehre spricht."

Nur eines der drei "Bekennerschreiben" könne nach den Regeln der Linguistik auch als solches bezeichnet werden, meint Drommel. Doch dieses enthalte Wörter, "die Herr Balluch nie verwenden würde, weil er sie nicht mag": Etwa das Wort "tierisch", das Balluch für gewöhnlich durch "tierlich" ersetze.

"Geringes Sprachniveau imitiert"

Andere Texte seien zwar nicht in Balluchs Stil geschrieben, sagt auch Schweiger. Dennoch sei davon auszugehen, dass sie von Balluch stammen: Es scheine wahrscheinlich, "dass er sich in den Leserbriefen verstellt und das geringe Sprachniveau der 'Mitkämpfer' imitiert", so der Sachverständige.

Drommel ortet hier eine "A priori-Beweisführung": Gutachter seien gemäß der Unschuldsvermutung angehalten, in Texten zuerst nach entlastenden Faktoren zu suchen. Schweiger hingegen "fahndet von vornherein nur nach belastenden Indizien".

Für Drommels Verwunderung sorgt auch der abschließende Befund des gerichtlichen Gutachters: Jemanden "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" als Urheber eines Textes zu bezeichnen, wage kaum ein Sachverständiger. "Das ist weltweit extrem selten."

Balluch "ein armer Teufel"

Schweiger selbst will zu den Vorwürfen nicht Stellung nehmen: "Ich bin für morgen als Zeuge geladen. Heute etwas zu sagen, wäre unhöflich." Dass ihn der VGT bereits wegen des Erstellens eines wissentlich falschen Gutachtens angezeigt hat, sorgt bei Schweiger für Gelächter: "Da wünsche ich dem Herrn Balluch viel Glück. Aber was bleibt dem armen Teufel denn noch übrig." Er wolle zwar als Sachverständiger nicht über den Fall urteilen. "Aber der Balluch hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder er gesteht, und kriegt die geringstmögliche Strafe. Oder er schießt mit allen Kanonen und behauptet weiterhin, er ist unschuldig."

derStandard.at liegt ein weiteres Gegengutachten des Sprachwissenschafters Manfred Kienpointner von der Uni Innsbruck vor: Schweigers Datenmenge sei zu klein, er arbeite statistisch unsauber und vernachlässige inhaltliche Widersprüche zwischen untersuchten Texten und Vergleichstexten aus Balluchs Feder, kritisiert Kienpointner. Zudem neige Schweiger dazu, "fragliche Texte selbst im Zweifelsfall eher Balluch zuzuordnen", meint auch der Innsbrucker Wissenschafter.

Zur Verhandlung am Mittwoch ist Schweiger als Zeuge geladen. In den Akt kommen die beiden Gegengutachten nicht. Drommel sei jedoch zugestanden worden, "ein paar Fragen an Dr. Schweiger zu richten". (Maria Sterkl, derStandard.at, 13.4.2010)