Das Bild vom einigen Polen, das angesichts des "zweiten Katyn" seine politischen Differenzen überwindet und am Grab des verunglückten Präsidenten zusammenfindet, hat nicht lange gehalten. Über seinen Tod hinaus polarisiert Lech Kaczyñski. Auf Wunsch seines Zwillingsbruders Jaroslaw soll er am Sonntag im Krakauer Königsschloss, dem Wawel, beigesetzt werden, Seite an Seite mit den größten Idolen der polnischen Nation.

Trotz der landesweiten Trauer und bei aller gebotenen Pietät regt sich dagegen Widerstand. Wohl zu Recht. Verdient es Lech Kaczyñski aufgrund seiner Amtsführung, als erster Präsident des demokratischen Polen im nationalen Heiligtum bestattet zu werden? Hat er sich um das Land in besonderer Weise verdient gemacht? Rechtfertigen allein die Umstände seines Todes diese Bevorzugung? Keine dieser Fragen kann guten Gewissens mit Ja beantwortet werden. Vielmehr zeugt es von der bekannten Selbstüberschätzung der Kaczyñski-Zwillinge, wenn Jaroslaw für seinen Bruder diese Sonderrolle beansprucht.

Dazu kommen die drängenden Fragen nach der Absturzursache. Viel deutet darauf hin, dass der wahre Sachverhalt längst bekannt ist, aber bis zum Begräbnis zurückgehalten wird. Was bisher bekannt wurde - vier Landeversuche bei Hochrisikowetter trotz Warnung der Lotsen -, lässt ohnedies kaum Interpretationsspielraum. Mit Unehrlichkeit, verpackt in nationales Pathos, wird die Tragödie von Smolensk für die Polen noch schwerer zu bewältigen sein. (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 16.4.2010)