Dass eine Partei, die keinen eigenen Kandidaten zur Wahl stellt, keine offizielle Empfehlung für den einer anderen Partei abgibt, soll schon vorgekommen sein. Dass Spitzenfunktionäre einer sich staatstragend gerierenden Regierungspartei, die keinen eigenen Kandidaten aufstellt, reihenweise empfehlen, weiß, also ungültig zu wählen, ist eine Premiere. Österreich verdankt sie der ÖVP, und es ist leider nicht anzunehmen, dass diese nach so vielen Monaten komisch-tragischen Lavierens ausgerechnet in der letzten Woche vor der Bundespräsidentenwahl gescheiter wird und von diesem demokratiepolitischen Unfug abrückt.
Die Diskussion um die Zulässigkeit oder Sinnhaftigkeit des Weißwählens wäre in den letzten Tagen nicht so heftig aufgeflammt, ginge es nur um das Recht der einzelnen Wählerin, des einzelnen Wählers, mit ihrer, seiner Stimme zu tun, was ihnen beliebt. Begeben sie sich damit ihres Rechts, bewusst mitzuentscheiden, ist das ihre Sache.
Die Diskussion ist aufgeflammt, weil offensichtlich ist, dass die Outings, diesmal weiß zu wählen, von Funktionären, die sonst wie die Haftelmacher das persönliche Wahlgeheimnis respektieren, Aufforderungscharakter hat. Und da wird es problematisch. Es ist die gesetzlich festgelegte - und im übrigen auch nicht zu knapp honorierte - Aufgabe von Parteien, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, aber nicht, sie erst durch Kandidatenabstinenz zu beeinträchtigen und dann auch noch die eigene Rat- und Entschlusslosigkeit als Wahlempfehlung an die Bürgerinnen und Bürger weiterzugeben. Wie mehr oder weniger verklausuliert zugegeben wird, drückt die Parole, weiß zu wählen, nur den Zwiespalt aus, dass man sich mit dem amtierenden Bundespräsidenten nicht so zufrieden zeigen will, dass man sich zumindest neutral verhält, aber auch nicht so unzufrieden ist, deswegen gleich die Mühen und Kosten eines Wahlkampfes auf sich zu nehmen: Die Zerrissenen empfehlen dem Wahlvolk demokratische Abstinenz.
Man kann davon ausgehen, dass die ungeistigen Väter dieser Strategie der Demokratie in einem Land mit wachsender Politikverdrossenheit, sinkender Wahlbeteiligung, schwächelnden Institutionen einen umso größeren Bärendienst erweisen, als die ÖVP ja durchaus einen Kandidaten gehabt hätte, dessen politische Potenz das Argument, gegen einen amtierenden Präsidenten lässt sich nichts gewinnen, zwar nicht ganz hinfällig gemacht hätte, aber doch ziemlich schleißig erscheinen lässt. Mit Gewinngarantie kann man vielleicht Rentner zum Kauf von Heizdecken überreden, von einer Regierungspartei kann, nein, muss der Wähler erwarten, dass sie sich höhere Ziele steckt und ihm (möglichst) seriöse Angebote auch dann macht, wenn sie den Jackpot nicht von vornherein in der Tasche hat. Angebote zur Entscheidung, nicht Aufforderungen zur Enthaltung davon.
Besonders die Jugend, um deren Interesse an Entscheidungen des Gemeinwesens man sich solche Sorgen macht, muss sich hervorragend motiviert fühlen, wenn Politiker sie daran erinnern, dass sie künftig schon ab 16 Jahren das Recht hat, weiß zu wählen. Also ungültig. (Günter Traxler, DER STANDARD, Printausgabe, 16.4.2010)