Im so genannten "Kampf der Zivilisationen" zwischen dem Islam und dem Westen, der die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zieht, wurde Russlands Krieg in Tschetschenien häufig als eine der größeren Fronten dieses umfassenderen Krieges angesehen. Es ist daher beachtenswert, dass, zur Zeit der Invasion in den Irak unter der Führung der USA und während Amerikas Zusammenstoß mit der islamischen Welt dadurch an Hitze gewinnt, Russlands Kämpfe mit den mohammedanischen Tschetschenen zu etwas wie einem Frieden abflauen könnten.

Die jüngste Volksabstimmung über eine neue Verfassung in Tschetschenien fiel mit dem Beginn des Irakkriegs zusammen. Das Ergebnis war besser als irgendjemand im Kreml hätte hoffen können: 89 Prozent der tschetschenischen Wählerschaft ging zur Wahl, und 96 Prozent davon unterstützten die von Moskau entworfene Verfassung.

Diese Zahlen überraschten sogar Präsidenten Wladimir Putin. Bei einem Kabinettstreffen nach der Wahl, deutete er offen an, seine Beamten seien wohl ein bisschen zu "proaktiv" vorgegangen, um so überwältigende Ergebnisse zu erzielen. Wie sollte man dieses Ja der Bevölkerung interpretieren? Die Zahlen sprechen für sich. Natürlich fanden Wahlmanipulationen statt. Doch selbst wenn die Beamten zehn, 20 oder sogar 30 Prozent der Stimmzettel gefälscht hätten, würden sich die Stimmen zugunsten der Verfassung immer noch auf eine überwältigende Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung belaufen.

Selbst wenn man noch die von russischen Soldaten abgegebenen Stimmen abzieht (etwa fünf Prozent aller Stimmen), unterstützten die meisten derer, die an der Wahl teilgenommen haben, den Verbleib Tschetscheniens bei Russland. Schon die bloße Tatsache, dass eine Wahl stattgefunden hat, ist wichtig.

Vom andauernden Krieg erschöpft, sind die meisten Tschetschenen jetzt bereit, ihre Probleme im Rahmen der von Russland vorgegebenen föderativen Struktur zu lösen. Sie sind bereit, eine Verfassung zu erörtern, nach der sie innerhalb der Russischen Föderation verbleiben - aber mit einer weit gehenden Autonomie vor Ort, etwa wie sie die Tartaren-Republik genießt.

Dabei hatte auch eine einfache praktische Überlegung eine Rolle gespielt. Die Tschetschenen hoffen, dass sich mit der Übernahme einer Verfassung und der sich daran anschließenden Wahl des tschetschenischen Präsidenten der Horror von Säuberungen und Verhaftungen erübrigen könnte, der unweigerlich die Folge gewesen wäre, wenn eine Seite sich den militärischen Sieg hätte sichern können.

Pawel Krascheninnikow, Präsident des gesetzgebenden Ausschusses der Staats-Duma, hat kürzlich eine Amnestie für die Guerillakämpfer versprochen, die niemals ohne die ausdrückliche Zustimmung von Präsident Putin hätte ausgesprochen werden können. Wenn man dem noch die Tatsache hinzufügt, dass eine verfassungsmäßige Beilegung des Konflikts die materielle Unterstützung und Entschädigung seitens der russischen Regierung wahrscheinlicher machen dürfte, so wird offensichtlich, warum die Tschetschenen jetzt als einen, wenn auch noch recht schwachen Hoffnungsschimmer wahrnehmen, dass sie mit einem Frieden besser fahren.

Die Zurückhaltung der Separatisten während des Referendums hat etwas Überraschendes, trotz der Tatsache, dass die Abstimmung für sie ebenso wie für die Regierung Putins ein Moment der Wahrheit barg. Hätten die Guerillakämpfer, die zu Aslan Maschadow (der vor einigen Jahren zum Präsidenten Tschetscheniens gewählt worden war) oder Schamil Basajew (einem anderen Guerillakommandanten) stehen, nur bei einem Wahllokal einen terroristischen Anschlag verübt, wäre die gewaltige Wahlbeteiligung der Tschetschenen nicht möglich gewesen. Dadurch, dass sie keine terroristischen Anschläge inszeniert haben, gestanden die Rebellen ein, dass sie nicht mehr das sind, was sie 1995 oder 1997 waren.

Fehlende Beobachter

Wenn schon die Russen über das Ergebnis des Referendums erstaunt sind, so erst recht die internationale Gemeinschaft. Einige Organisationen - der Rat des Europaparlaments etwa, oder die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa - begegneten dem Ergebnis der Volksabstimmung mit Skepsis und bezogen sich dabei auf die Tatsache, dass bei der Wahl unabhängige, ausländische Beobachter gefehlt hatten.

Andere Körperschaften wollen wieder die Idee aufgreifen, einen Untersuchungsausschuss über die Kriegsverbrechen in Tschetschenien einzurichten. Bei der Eindeutigkeit der Wahl zu ihren Gunsten und Angesichts der Bedeutung, die Putins Regierung dem Krieg in Tschetschenien beigemessen hat, ist es unwahrscheinlich, dass Russlands Regierung auf solches Gerede viel Gewicht legen wird. Worum sich der Kreml kümmern wird, ist die bevorstehende Wahl des tschetschenischen Präsidenten. Sie wird noch in diesem Dezember zusammen mit den Wahlen für die Duma stattfinden.

Der Chef der vom Kreml eingesetzten tschetschenischen Verwaltung, Achmad Kadirow, bespricht das bereits mit dem Präsidenten der Bundeswahlkommission. Kadirow glaubt, die Ergebnisse der Volksabstimmung brächten ihn rechtmäßig auf den Weg, sich das tschetschenische Präsidentenamt zu sichern. Vielleicht. Es ist auch möglich, dass dieser ehemalige tschetschenische Mufti die byzantinische Natur der Politik im Kreml nicht durchschaut.

Putin könnte ihn leicht durch jemanden ersetzen, den er für zuverlässiger hält, um Maschadow herauszufordern, sollte der sich bewerben. In den Monaten vor der Wahl müssen Russlands Führer auf einander abgestimmte Anstrengungen unternehmen, um die tschetschenische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sie weise daran getan hat, als sie es riskierte, an der Volksabstimmung teilzunehmen. Sie können das dadurch erreichen, dass sie den Wiederaufbau beschleunigen und die humanitären Hilfeleistungen vergrößern. Je eher das geschieht, desto schwieriger dürfte es für die Separatisten werden, zu behaupten, sie alleine dürften über das Schicksal Tschetscheniens befinden. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.4.2003)