Möbelhersteller, Musikproduzenten und Plattenkonzerne in der ganzen Welt haben ihre Produkte mit dem klangvollen Namen der Retortenmetropole in der Savanne geadelt .

Gesamtdesign
"Diese Stadt", notierte Max Bense 1964, "ist ein visuelles Ereignis wie ein Plakat." Der Philosoph interpretierte die Zeichenhaftigkeit und Prägnanz der Planstadt als Umsetzung eines Gesamtkunstwerks: als "Design gewordenen Cartesianismus", als erstes Beispiel für ein "Gesamtdesign". Der Maler und Grafiker Almir Mavignier, dessen Kunst Bense mehrfach würdigte, hat die Prägnanz von Kuppel und Schale des Kongressgebäudes für ein Plakat genutzt: Es warb 1973 für das Hamburger Restaurant Brasilia, das nicht nur kulinarische Spezialitäten bot, sondern auch "brasilianische Erzeugnisse in neuem Design" verkaufte.

Zukunftsmusik
Ein Bündel von 16 gebogenen Hohlrippen aus Beton, zur Dornenkrone gerundet: Länger als eine Dekade lang blieb Brasílias Kathedrale, die Oscar Niemeyer 1959 entworfen hatte, unvollendet. Eine Betonruine, deren Reiz Fotografen und Musiker inspirierte, so den Samba-Percussionisten Ney de Castro. Er hat 1960 ein ganzes Album nur mit Trommelrhythmen und Schlagzeugbreaks eingespielt: Brasília An 2000 ist eine Hommage an die Stadt der Zukunft. Und Cathedral de Brasília - das vorletzte Stück der Platte - dient heute dem DJ Amon Tobin als Material für seine Klanggebäude aus Jazz-, Samba- und Drum-'n'-Bass-Fragmenten.

Stadt zum Essen
Brasílias skulpturengleiche Betonmonumente haben Musiker und Designer, Regisseure und PR-Abteilungen großer Unternehmen stets angeregt: So will sich der Designer Helmut Warneke bei seinem Entwurf für das Cromagan-Besteck "Brasilia", das von 1972 bis 2008 von WMF produziert wurde, am kühnen Schwung der Pfeiler des Präsidentenpalasts orientiert haben.

Samba-Käfer
Die autogerechte Stadt: Brasília wurde als Stadt ohne Ampeln und Kreuzungen konzipiert. "Die Trennung zwischen Auto- und Fußgängerverkehr soll jedoch nicht zu systematischen und unnatürlichen Extremen führen", wünschte Lúcio Costa, der 1957 den Masterplan der Stadt entwarf. Als Familienauto stellte VW do Brasil zu Beginn der 1970er-Jahre sein Modell "Brasília" vor, einen "Käfer mit tropischem Flair", den Designer Marcio Piancastelli als brasilianische Eigenentwicklung eines Kombiwagens entworfen hatte. Das Fahrzeug wurde von 1973 bis März 1982 rund eine Million Mal produziert.

Jazz-Architektur
Einst schickte das Magazin Film und Frau den jungen Werbefotografen Charles Wilp in die neue Kapitale, heute lassen Zeitgeistmagazine wie Wallpaper und Dazed & Confused Brasílias Architektur effektvoll in Szene setzen. Seit die Wallpaper-Generation Oscar Niemeyers Architektur in den 1990er-Jahren für sich entdeckt hat, dienen seine extravaganten Konstrukte für Brasiliens Hauptstadt erneut als Kulisse für Werbefotos und Produktpräsentationen. So finden wir die Bauten in Fashion-Magazinen und auf Flacons, vor allem aber auf den Platten- und CD-Hüllen: So auf der Zusammenstellung Science Fiction Jazz, die DJ Minus 8 aus Zürich im September 2004 veröffentlichte. Auf dem Cover sehen wir das Militärministerium in Brasília, das Oscar Niemeyer 1968 entwarf.

Beton im Buch
"Stadt der Morgenröte" wurde Brasília genannt; "Ein neuzeitliches San Gimignano", notierte der Diplomat Wladimir Murtinho, der für die Einrichtung und künstlerische Ausstattung des Außenministeriums, den Palácio Itamaraty, verantwortlich zeichnete. Murtinho schrieb zahlreiche Aufsätze zum Lobe der Planstadt, so die Einleitung zu dem Brasília-Buch, das der Wilhelm Andermann Verlag im Jahr 1966 in seiner Panorama-Edition auflegte. Brasílias Betonmonumente in 30 Farbaufnahmen des frankobrasilianischen Fotografen Marcel Gautherot, veröffentlicht in einer Reihe mit Bilderbüchern über bayerische Königsschlösser und die Sehenswürdigkeiten der Steiermark.

Sessel-Stadt
Alles fließt: Ross Lovegrove zeigt sich als bekennender Niemeyer-Fan, den er als ersten biomorphistischen Architekten verehrt. Die Chaiselongue "Brasília", die der Möbeldesigner 2003 für den Möbelhersteller Zanotta entwarf, ist eine geschwungene, skulpturale Konstruktion; freilich nicht aus Beton, sondern aus Polyurethan.

Jedem sein Brasília
Brasília als Baukasten: Ein bisschen Utopie sollte auch in einer simplen Bauwand stecken. Bis 2004 wurden die ob ihres Designs prämierten "Brasilia"-Schrank- und -Trennwände von der Firma Pan Brasilia im südhessischen Lampertheim produziert. Heute noch werden die Paneele angeboten - allerdings in modifizierter Form und von einem anderen Unternehmen. Wir bauen unserer Zukunft ein Gehäuse. Brasília ist stets dabei. (Fabian Wurm/Der Standard/rondo/16/04/2010)