"Je früher man Multifokallinsen verwendet, desto besser, denn im Anfangsstadium gewöhnt man sich schneller an dieses System." (Joachim Penn, Augenoptikermeister, konzessionierter Kontaklinsenoptiker und Optik-Geschäftsführer der Wiener "Eye-Factory")

Foto: Joachim Penn/eyefactory

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Seit Beginn der 1980er-Jahre sind Multifokallinsen mit zwei, drei und in Ausnahmefällen noch mehr Stärkebereichen in einer Linse erhältlich – ähnlich den Zonen bei einem Gleitsichtglas.

Wenn der Tag kommt, an dem man sich vom Kellner die Speisekarte vorlesen lassen muss, sollte man sich langsam mit dem Gedanken an die Presbyopie (Alterssichtigkeit) vertraut machen. "Jeder Mensch wird altersweitsichtig!", weiß Joachim Penn, Augenoptikermeister, konzessionierter Kontaklinsenoptiker und Optik-Geschäftsführer der Wiener "Eye-Factory". Zwischen dem 39. und 45. Lebensjahr funktioniert die Umstellung vom Nah- auf das Weitsehen zunehmend schlechter, da die Linse im Auge die Fähigkeit zur Scharfstellung in die Nähe (Nah-Akkomodation) verliert. Verantwortlich dafür sind Kalkeinlagerungen in der ursprünglich flexiblen und elastischen Linsenmasse.

Zu kurze Arme

Wo bei einem zehnjährigen Kind der Nahpunkt bei 7,5 Zentimetern liegt, rückt er im Alter von 30 bereits beinahe auf die doppelte Entfernung: 13,5 Zentimeter. 15 Jahre später hat sich die Distanz noch einmal mehr als verdoppelt. Dann lässt es sich im durchschnittlichen Abstand von 28,5 Zentimetern am besten lesen. Doch irgendwann sind die Arme nicht mehr lang genug, die "Lesehilfe" wird unentbehrlich. Abseits des Kleingedruckten stolpert man allerdings über die eigenen Füße. So wird die Gleitsichtbrille zur Dauereinrichtung.

Mehrere Stärkebereiche in einer Linse

Wer sich mit der Brille nicht anfreunden mag, findet die Alternative in Gleitsichtkontaktlinsen. "Der korrekte Ausdruck dafür ist 'Mehrstärkencontactlinsen' oder 'Multifokallinsen'", erklärt Penn. Seit Beginn der 1980er-Jahre sind solche mit zwei, drei und in Ausnahmefällen noch mehr Stärkebereichen in einer Linse erhältlich – ähnlich den Zonen bei einem Gleitsichtglas. Die Frage, ob es bei Multifokallinsen wie bei der Gleitsichtbrille auch eine "Grenze" zwischen Oben und Unten gebe, an die man sich erst gewöhnen müsse, beantwortet Penn: "Es gibt zwei Möglichkeiten: Bei der nach dem Simultanprinzip funktionierenden Multifokallinse existiert diese Grenze nicht. Da hat das Auge immer Ferne und Nähe gleichzeitig vor dem Auge und das Gehirn wählt sich die Zone, die es gerade braucht, aus." Bei der formstabilen alternierenden Bilfokallinse bestehe dagegen die Grenze zwischen oben und unten, was zu den Anfangsproblemen des Stolperns führen könne.

Je früher, desto besser

"Je früher man Multifokallinsen verwendet, desto besser, denn im Anfangsstadium gewöhnt man sich schneller an dieses System", empfiehlt Penn. Der Grund liege darin, dass am Anfang einer Presbyopie der Unterschied zwischen Ferne und Nähe noch nicht so groß sei. Penn passt fast ausschließlich individuell gefertigte formstabile oder weiche Linsen an, die exakt für das jeweilige Auge hergestellt sind: "Man kann heute die Hornhautoberfläche mit 22 000 Messpunkten pro Auge vermessen und die ideale Linse draufsetzen, oder eine Standard Wegwerflinse tragen, wo man nur die Dioptrienstärke bestimmen kann."

Die perfekte Linse

Bei individuell gefertigten Multifokallinsen lassen sich Nah-, Fern- und Zwischenzonen nach der genauen Pupillengröße des Kunden wählen. Dagegen könne man eine standardisierte Monats- oder Tageslinse zwar von der Stärke, nicht aber von ihrer Form her anpassen, da sie in Massenproduktion gefertigt werde. Weshalb Penn "in den seltensten Fällen" zu jenen rät. Er betont: "Die Linsen sollten unbedingt beim Fachoptiker oder Augenarzt angepasst werden, wo man auch eine umfangreiche Beratung bekommt. Die Handhabung und Reinigung der Kontaktlinsen erklärt in den meisten Fällen ein Assistent."

Die Favoriten des Kontaktlinsenoptikers sind individuell angepasste, formstabile Kontaktlinsen, die auch er seit Jahren trägt: "Sie ermöglichen mit bis zu 16 Stunden am Tag die längste Tragedauer und sind mit einer Haltbarkeit von etwa zwei Jahren die preisgünstigste Variante". Als Alternative empfiehlt er die ebenfalls individuell angepassten weichen Sechsmonats- oder Einjahres-Kontaktlinsen. Die standardisierten Einmonats-, Zweiwochen- oder Eintageslinsen seien auf ein Jahr gerechnet am teuersten.

Kosten und Haltbarkeit

Zwischen ca. 180 Euro und 600 Euro im Jahr müsse man je nach Auge und Typ der Linse für Multifokallinsen veranschlagen, exklusive Linsenpflegemittel. Von der Handhabung und Beschaffenheit sieht Penn keine Unterschiede zur "normalen" Kontaktlinse. Risiken und Gefahren, wie das Zerbrechen der Linse am Auge, seien bei richtiger Handhabung zu vernachlässigen, berichtet der Optiker aus der Praxis: "Das kommt sehr selten vor und verletzt das Auge in ganz wenigen Fällen. Falls doch, sind diese Verletzungen fast immer reversibel." Eine viel größere Gefahr als das Zerbrechen der Linse am Auge seien falsche Handhabung und Reinigung der Linse. Insbesondere eine zu lange tägliche Tragedauer erzeuge, durch die über Jahre hinweg bestehenden Sauerstoff- und Nährstoffmangelerscheinungen, sogenannte Neovaskularisation. Dabei handelt es sich um Gefäßeinwachsungen in die per se gefäßlose Hornhaut.

Ein Tag Pause pro Woche für Weichlinsenträger

Laut Penn tritt die Neovaskularisation zu 95 Prozent bei Weichlinsenträgern auf und ist nicht behandelbar. Was man tun kann, ist die Linse beziehungsweise den Tragerhythmus zu ändern, sprich zu verkürzen, um dem Auge wieder ausreichend Sauerstoff und Nährstoff zu bieten. Der Kontaktlinsenoptiker: "Eine kürzere Tragedauer ist für das Auge immer sinnvoll, jedoch hat diese bei formstabilen Linsen viel weniger Einfluss als bei Weichlinsen. Meine Empfehlung an Weichlinseträger ist eine Tragedauer zwischen zehn und zwölf Stunden am Tag und einen Tag in der Woche Pause." (Eva Tinsobin, derStandard.at, 26. 4. 2010)