Beim gescheiterten Kopenhagener Klimagipfel Ende 2009 erstritt sich Boliviens Präsident Evo Morales, der gar nicht mehr auf der Rednerliste stand, das Wort und versuchte die Weltgemeinschaft mit einer Brandrede aufzurütteln: Als erster Indio an der Spitze seines Landes verurteilte er die weltweit herrschende "Kultur des Todes, des Lebens auf Kosten anderer". Ihr stellte er die uralte Vision der Andenbewohner von der "Pachamama" gegenüber, der Mutter Erde, die es zu bewahren gelte.

Diese Woche hat Morales soziale Bewegungen zu einer alternativen Weltkonferenz der Völker über den Klimawandel ins bolivianische Cochabamba eingeladen, wo das indigene Konzept des "vivir bien (gut leben)" in Bescheidenheit und Harmonie mit der Natur besprochen wird.

Wie der 1959 in ärmsten Verhältnissen geborene Morales dazu kam, sein Heimatland völlig umzukrempeln und dies auch noch als Vorbild für andere zu propagieren, hat Robert Lessmann in seinem Buch über Das neue Bolivien nachvollziehbar beschrieben. Zur besseren Orientierung holt der Politologe Lessmann, der Morales seit Jahren kennt, weit in die Geschichte aus. Von der frühen Tiwanaku-Kultur, die es noch vor der Inka-Zeit gab, geht die Reise über die Kolonialära bis zur politisch unruhigen, von etlichen Militärputschen gekennzeichneten Republik. Konstant blieb, dass mit den Rohstoffen (Zinn, Silber, Erdgas) einige wenige reich wurden, während das Volk arm blieb.

Ein Teil der Landbewohner verlegte sich auf den Anbau von Kokablättern, zugleich Kultpflanze und Stärkungsmittel im Gebirge. Weil daraus auch Kokain hergestellt wird, gerieten die Kokabauern ins Visier der Drogenjäger. Doch ihre Gewerkschaft, zu deren Anführern seit 1984 Morales zählte, kämpfte zäh um das Überleben ihrer Lebensweise. Das damit erreichte Vertrauen brachte Morales 2006 die Präsidentschaft ein, die seither trotz Widerstands vor allem der Reichen mehrfach bestätigt wurde. (DER STANDARD, Printausgabe 20.4.2010)